Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis

Impressum


Zur Homepage

Wem nützt der „Stadtumbau Ost"?

Von Stadtplanung, Wohnungswirtschaft und

„Gestaltungsdefiziten im Straßenraum"

Der Stadtrat ist beleidigt: Gerade erst war der Bezirk Marzahn-Hellersdorf mit einem Preis des Bundesbauministers für den städtebaulichen Entwurf geehrt worden, mit dem er im Rahmen des milliardenschweren Bundesprogramms „Stadtumbau Ost" für die „Zukunfts- und Lebensfähigkeit" seiner Plattenbauviertel sorgen wollte. Und kaum ist der Applaus verhallt, da erfahren die bezirklichen Stadtplaner aus der Zeitung, daß es sich bei Plattenbauvierteln wie Marzahn-Nord nicht um aufregende Entwicklungs-, sondern doch eher um deprimierende „Abrißgebiete" handelt. Genau diesen Eindruck zu vermeiden war das Hauptziel der Planungen gewesen. Denn wenn erst einmal von Abriß die Rede ist, sinkt die Stimmung in den halbleeren Blöcken noch schneller, als sie es ohnehin tut; dann ergreift jeder, der es sich leisten kann, die Flucht.

Möglicherweise war genau das die Absicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gewesen, als sie die Nachricht in Umlauf brachte. Die Staatsministerin für Bauen und Wohnen, Ingeborg Junge-Reyer, hatte schon im Juli die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn (WBG) zu einer „radikaleren Herangehensweise" gedrängt und, von Stadtentwicklungssenator Strieder unwidersprochen, auf möglichst umfassende Abrisse bestanden. Nun darf sie sich freuen: Die WBG kündigte an, über drei Viertel ihrer 3000 leerstehenden Wohnungen zu vernichten. Da die Sache mit Strieder abgesprochen war, hielt man es nicht einmal für nötig, das Bezirksamt zu informieren. Stattdessen erzählte man alles der Presse, mit dem Erfolg, daß die betroffenen Bewohner ausgerechnet von Reportern der Morgenpost erfuhren, welches Schicksal ihren Häusern droht: Wenn von ihnen überhaupt etwas stehen bleibt, werden sie eher putzig-kleinbürgerlichen Reihenhäusern gleichen als den schlichten Mietshäusern in Großtafelbauweise, in denen die Marzahner jetzt wohnen ­ und das wohl nicht nur, was das Aussehen, sondern auch, was die Miete betrifft. Genüßlich beschrieb die Morgenpost, wie die „Bierbäuche in Unterhemden", die sie im „Abrißgebiet" vorfand, nervös wurden.

Die „Reduzierung des Angebotsüberhangs an Wohnraum" war von Anfang an ein wesentliches Anliegen des „Stadtumbau Ost" ­ ungewöhnlich für eine Marktwirtschaft, die doch sonst keine künstliche Angebotsverknappung kennt. Gerade hat man den verwöhnten Ostlern klargemacht, daß die ehemals öffentliche Wohnraumversorgung einen freien Markt darstellt, und schon gibt's die erste Ausnahme. Die Kräfte des Marktes sollen offenbar vor allem bei den Mietern ihre heilende Wirkung entfalten, während die Wohnungswirtschaft auf eine staatlich subventionierte „Marktbereiningung" hoffen kann. Warum? Die Wohnungsbauunternehmen bleiben im Osten immer häufiger auf ihren teuer sanierten Wohnungen sitzen und brauchen eine kräftige Angebotsverknappung, um für den verbleibenden Wohnraum wieder zu einem anständigen Preis vermieten zu können. Mit den Einnahmen können sie dann sowohl die restlichen Wohnungen als auch ihre eigenen Finanzen sanieren. Auch die Bauwirtschaft, die unter der Auftragsflaute leidet, verdient an Abrissen natürlich mehr als an Leerstand.

Foto: Rolf Zöllne

In Städten wie Hoyerswerda oder Wittenberge, denen seit 1990 über ein Drittel ihrer Bevölkerung abhanden gekommen ist, mag ein solcher „Stadtrückbau" unvermeidbar sein. Berlin aber ist keine schrumpfende Stadt, und wenn sich der Leerstand in einigen Vierteln häuft, so ist das eher ein qualitatives denn ein quantitatives Problem. Es handelt sich um Mängel in der städtischen Struktur, die mit einer umsichtigen Stadtplanung in den Griff zu bekommen sind. Für Berlin hatte Strieder darum eine Sonderregelung erwirkt: Hier sollten die Mittel des „Stadtumbau Ost" nicht für Abrisse, sondern vorrangig für eine Optimierung der städtischen Infrastruktur, für Wohnumfeldverbesserungen, Wohnungssanierungen und gelegentlichen Teilrückbau eingesetzt werden. Nur in Einzelfällen sollten leerstehende Schulen oder Schuppen den allgegenwärtigen „Grünzügen" geopfert werden.

Wie sehr die jetzt angekündigte Abrißpolitik einen Strategiewechsel bedeutet, wird an einem Vergleich deutlich. Der Senat hatte seinerzeit nicht nur die umstrittenen Plattenbaugebiete für das Bundesprogramm vorgeschlagen, sondern auch Viertel in der Innenstadt, unter anderem das Gebiet „Ostkreuz" in Lichtenberg und Friedrichshain. Die hiesigen Planungen kommen einem bekannt vor: Zum großen Teil handelt es sich um längst bekannte Projekte älterer Städtebauprogramme, die aufgrund der miserablen Haushaltslage vom Senat abgewickelt worden sind. Nun ist wieder Geld da, und dringende Vohaben wie die „Behebung von Gestaltungs- und Instandhaltungdefiziten im Strassenraum" können endlich angegangen werden ­ die üblichen gut gemeinten Hübschheiten also, die allerdings, wie man aus Erfahrung weiß, in ihrer Summe eine Kampfansage an die bestehende soziale Mischung eines jeden Innenstadtviertels darstellen.

Während der Senat also in den ungeliebten Plattenbauvierteln am Stadtrand die Abrißbirne schwingt, schreibt er in den zentralen Stadtbezirken die bisherige Aufwertungspolitik fort. Das Zentrum wird aus-, die Peripherie zurückgebaut. Der Grund liegt weder in einem massenhaften Leerstand der Plattenbauten noch in einer Verwahrlosung der Innenstadt, ja nicht einmal in der erfolgreichen Lobbyarbeit der Wohnungsbauunternehmen. Er dürfte vielmehr in der kulturellen Beschränktheit der Stadtentwickler zu suchen sein: So wie jetzt Marzahn verloren gegeben wird, galten über Jahrzehnte Gegenden wie der Prenzlauer Berg oder Kreuzberg 36 als unsanierbar. Sie waren marode, düster, verslumt, von sozialen Problemen und von einem Leerstand geprägt, gegen den die paar tausend leeren Wohnungen in Marzahn eine Lachnummer sind. Abrisse waren an der Tagesordnung, jede Planung ging von einem radikalen Neubeginn aus. Erst spät zeigte sich, wie die Geschmäcker wechseln, und daß städtebauliche Mängel mit einer umsichtigen Stadtplanung zu beheben sind, wenn man es nur will. Da war ein Großteil der Gründerzeitblöcke der alten Innenstadt bereits vernichtet ­ ein Fehler, der sich jetzt in Marzahn zu wiederholen droht.

Johannes Touchér

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 2002