Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
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Uneindeutig eindeutig

Im Grenzland: Ein Buch und seine Rezensenten

Sherko Fatahs Debütroman Im Grenzland war seit seinem Erscheinen vor anderthalb Jahren ein recht erklecklicher Erfolg im deutschen Feuilleton beschieden. Im September 2001 erhielt der Autor den „aspekte"-Preis für das beste deutschsprachige Erstlingswerk, im März dieses Jahres den Kritikerpreis, die Elogen der Rezensenten rissen auch danach nicht ab. Durchaus zurecht. Fatah ist eine der größten Entdeckungen der letzten Jahre.

Interessant an der hiesigen Rezeption des Buches ist, in welchem Maße die Rezensenten einige Aspekte der Geschichte in den Vordergrund rückten, die der Autor, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Fatah, Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen, hatte sein Buch ­ die Heimat seines Vaters kennend ­ geschrieben als Gleichnis über „Fremdheit und Ausgesetzheit in einem zerstörten, wüstenhaften Gebiet".

Über den Ort des Geschehens beläßt Fatah den Leser im Unklaren, die Rezensenten benennen das Gebiet genau: Das Grenzgebiet zwischen dem Irak, dem Iran und der Türkei sei gemeint. Natürlich stimmt das ­ irgendwie: weil die Bausteine der Romanhandlung ­ sozusagen das äußere Gewand ­ auf dem basieren, was Fatah aus seinen Erlebnissen und Gesprächen mit den dort lebenden Verwandten erinnert. Allerdings geht es dem Autor gar nicht um die Schilderung einer konkreten (irakischen oder wo auch immer verorteten) Wirklichkeit, sie ist nur Schablone für eine Transformation des Besonderen ins Allgemeine. Er selbst sagte über seinen Roman, er habe eine „vielleicht universale Fremdheit zum Ausdruck bringen" wollen. Und genau das vermittelt der Roman: Die immer wieder aufscheinende Nähe zu Camus' Der Fremde ist kaum zu übersehen.

Fatahs Roman gehöre zu jenen Büchern, die man nach dem 11. September anders liest, urteilte ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung einen Monat nach dem WTC-Attentat und schwätzte hernach über den islamischen Fundamentalismus ­ was viel mit der damaligen Situation, aber nur wenig mit den Intentionen des Buches zu tun hatte. Ein anderer SZ-Skribent redete in seiner Rezension des Romans viel über die Folgen von Diktatur und Gewaltherrschaft.

Eigentlich ist das Buch erhaben über eine allzu leichte politische Vereinnahmung: So sprach Tilman Spreckelsen von der FAZ über die geschickte Erzähltechnik Fatahs, „die sich aller Eindeutigkeit im einzelnen verweigert". Leider kann man sich seine Rezensenten nicht aussuchen, und allenthalben gerät im Wunsch zu lesen, was man lesen will, das Uneindeutige zum Eindeutigen.

Manche Besprechungen des Buches lesen sich, als habe Fatah ein politisches Pamphlet wider die Diktatur, speziell die irakische, geschrieben. Sie degradieren einen philosophischen, gleichnishaften Roman zum Handbuch über die Schrecknisse, die die „Achsenmacht des Bösen" unter Saddam Hussein über die Welt hereinbrechen läßt. Mit dem, worum es Fatah eigentlich geht, hat das nicht viel zu tun.

Gertrude Schildbach

Sherko Fatah: Im Grenzland.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2001.
18,80 Euro

Der Autor liest am 17. September um 20.45 Uhr im BE-Pavillon.

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