Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
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Weltliteratur und Kiez

Martin Jankowski über das Rahmenprogramm des internationalen literaturfestivals berlin 2002

Das internationale literaturfestival berlin (ilb), das im Juni 2001 erstmals über diverse Bühnen dieser Stadt ging, ist wesentlich eine Privatinitiative des Architekten Ulrich Schreiber. Nicht weniger als eine „Berlinale der Literatur", einen „literarischen Großversuch" strebte der Festival-Initiator an und ließ sich dabei auch von den leeren Kassen der Stadt nicht beirren. So müssen eben Sponsoren ran – und Kooperationspartner, die ihre „Potenzen" umsonst einbringen.

Im zweiten Jahr des Bestehens hat sich beim ilb einiges geändert: Man ist vom Juni-Termin, wo man in direkter Konkurrenz zum von der literaturWERKstatt organisierten „Berliner Sommerfest der Literaturen" stand, in den September gewechselt; Hauptaustragungsort ist diesmal das Berliner Ensemble und nicht mehr die Sophiensäle; von der Wohnung Ulrich Schreibers ist das Organisationsbüro in schicke Räumlichkeiten am Hackeschen Markt gezogen; und es gibt neben dem Hauptprogramm mit über 80 Autorinnen und Autoren aus aller Welt ein umfangreiches Rahmenprogramm, in das im „Gebiet um das ehemalige Scheunenviertel", wie man sich ausdrückt, ansässige Institutionen einbezogen sind. Wir sprachen mit Martin Jankowski, dem Koordinator dieses Rahmenprogramms.

Welche Konzeption steht hinter dem Rahmenprogramm des Festivals?

Das Rahmenprogramm des internationalen literaturfestivals hat sich für dieses Jahr mehrere Ziele gesetzt. Einmal wollten wir nicht mehr so wahllos über die gesamte Stadt verstreut Veranstaltungen machen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Wir wollten eine Art Brücke schlagen zwischen Text und Stadt. Die Aufgabenstellung war: Wie kann man die Potenzen des Festivals und der Stadt miteinander verlinken, wie man heute so schön sagt? Wir haben außerdem gedacht, daß es sinnvoll wäre, sich auch geographisch eine Heimat zu suchen, und sind dann relativ rasch auf das Scheunenviertel gekommen, wobei wir „Scheunenviertel" sozusagen im Volksmund-Gebrauch verwenden. Wir meinen damit die Spandauer Vorstadt, also alles zwischen Hackeschem Markt, Torstraße, Friedrichstraße und der Spree. Literaturhistorisch ist das der heißeste Platz in Berlin: Hier sitzt eine große Anzahl an literaturrelevanten Institutionen, und unsere Veranstaltungsorte, allen voran das Berliner Ensemble, sind auch hier. Das ist unser Festivalareal. „Poesie im Scheunenviertel" war unser Arbeitsbegriff, als wir begannen, das Rahmenprogramm zu gestalten. Dazu sind wir an alle literaturrelevanten Institutionen herangetreten ­ bis hin zu Theatern oder Kunstgalerien, sozusagen Nachbarn der Literatur.

Die Verwebung von Festival und Festivalareal findet auf allen Ebenen statt. Wir machen Veranstaltungen, wir machen Feste, Kunstprojekte und Rundgänge ­ und das bieten wir sowohl dem Publikum als auch den Gastautoren an.

Es gibt für dieses Rahmenprogramm kein Geld. Was das Festival den Institutionen anbieten konnte, war lediglich ein Kooperationsangebot.

So ist es, und das hat damit zu tun, daß unsere finanzielle Ausgangslage in diesem Jahr noch schlechter war als im Vorjahr. Wir haben uns gesagt: Wir haben die Hälfte des Geldes, müssen aber ein doppelt so gutes Festival machen. Das letzte Mal war das erste Mal. Da darf man noch ein gewisses Chaos produzieren. In diesem Jahr muß das natürlich professioneller laufen. Vor allem müssen sich in diesem Jahr die Konturen des Festivals so abzeichnen, daß man sehen kann, was für eine Art von Tradition daraus wird.

Wie sollen die Konturen aussehen?

Das ist zum einen das Prinzip, wie wir den Inhalt festlegen. Das ist einmalig in der Welt, wie wir inzwischen festgestellt haben. Wir haben eine Jury, elf Kuratoren, verteilt über den gesamten Globus: Akademiker, Verleger, Schriftsteller, die sich in ihrer jeweiligen Region auskennen. Jeder dieser Kuratoren nominiert drei Autoren, und diese Autoren werden von uns eingeladen ­ egal, ob wir die kennen oder nicht, egal, ob wir die gut finden oder nicht. Diese 33 Autoren sind der Grundstock unseres Programms.

Was bringt das inhaltlich? Erstens völlige Unabhängigkeit von den Verlagen, speziell von der deutschen Verlagsszene. In kommerzieller Hinsicht ist das eigentlich Wahnsinn. Oft sind das nicht nur Autoren, die keiner kennt, sondern von denen auch keine Übersetzung auf Deutsch vorliegt. Die Übersetzung machen wir dann selbst für das Festival. Wir holen Autoren nach Berlin, die in der kommerziellen Literaturszene Deutschlands sonst schlicht nicht vorkommen, auch nicht bei Frau Löffler, deren Magazin zwar Literaturen heißt, die aber Angst hat vor jeder Weltliteratur, die unterhalb des Bestsellerniveaus liegt.

Zurück zum Rahmenprogramm: Dieses Kooperationsangebot ist also angenommen worden?

Die Gegend um das ehemalige Scheunenviertel hat unsere Idee angenommen, das lief besser, als wir dachten. Sämtliche Veranstaltungen basieren auf reiner Kooperation. In dieser Hinsicht ist das Rahmenprogramm absolut nicht-kommerziell. Niemand bekommt von irgendjemandem Geld. Das begeistert mich, weil ich sehe, daß das Konzept aufgeht, daß dieses Literaturpotential in Berlin so existiert, wie wir dachten. Ich denke, daß dieses Nullbudget diese geistige Qualität geradezu hervorgebracht hat. Man kooperiert und streitet nicht ums Geld, weil jeder weiß: Da läßt sich nichts verdienen. Wir haben dennoch insgesamt über 40 Kooperationspartner für das Rahmenprogramm gefunden. Die Idee ist gut und sie funktioniert.

Wie stellt sich die inhaltliche Verbindung zum Kiez her?

Es ist teilweise so, daß Kooperationspartner sich präsentieren, ihre Arbeit einbringen. So wird z.B. eine südafrikanische Autorin in einem ökumenischen Frauenzentrum in der Sophiengemeinde auftreten. Die haben gesagt: Wir möchten gerne mit ausländischen Autorinnen einen Abend machen. Wir möchten gerne mit denen über Frauenliteratur und Frauenthemen reden.

Dann gibt es hier eine sehr sympathische Spoken Word Poetry-Szene, die Slams veranstaltet. Die sind jetzt im Bastard in der Kastanienallee, und die hab ich angesprochen. Daraus hat sich entwickelt, daß wir im Roten Salon eine SLAM!-Revue veranstalten, und die Aufmerksamkeit wurde schließlich so groß, daß jemand wie Marc Smith, Begründer der Slam-Bewegung aus den USA gesagt hat: Er würde gerne kommen, er sei sowieso gerade in Europa. Es ist unglaublich, welche Effekte das hat, wenn man die richtigen Leute zusammenbringt. Berlin bekommt ein lebendiges großes Literaturtreffen mit richtig guten Leuten von jenseits des Horizonts und mit intensivem geistigen Austausch für alle ­ das ist mal was anders als das alltägliche Bücherverkaufen mit den üblichen Verdächtigen sponsored by Dussmann und Daimler.

Interview: Florian Neuner

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