Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
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CREEPS ­ Medienkritik auf der GRIPS-Bühne

„Du hast keine Chance, aber nutze sie!" – dieser Sponti-Spruch aus rebellischeren Zeiten könnte auch Motto des dritten im GRIPS-Theater gezeigten Stückes von Lutz Hübner sein: CREEPS für Menschen ab 13, inszeniert von Jürgen Zielinski.

Drei gutaussehende hoffnungsfrohe junge Girls, fit for fun und mit der Illusion, Casting-Erwählte zu sein, stürmen nacheinander in das Fernsehstudio des neuen Lifestyle-Magazins Creeps. Doch statt einer menschlichen Begrüßung erwarten sie dort nur die technischen Requisiten und die Lautsprecher-Geisterstimme eines plump kumpelhaften Arnos als Aufnahmeleiter.

Wenn die roten Aufnahmelampen blinken, sollen sie ihr Bestes geben, sich um die gewünschte lockere Ansage, ein kurzweiliges Interview oder eine Tanzeinlage bemühen. Wie in einem postmodernen Menschenzoo treibt der aus dem Off ertönende Arno als Lautsprecher-Dompteur seine Aufnahmemätzchen mit ihnen und hetzt sie zusätzlich zu dem ohnehin bestehenden Konkurrenzdruck intrigant gegeneinander.

Maren, ein Hippie-Kind aus Hamm, ist am dünnhäutigsten. Sie will ihr schulisches Versagen durch einen glamourösen TV-Auftritt kompensieren, bei dem alle Verwandten und Bekannten endlich sehen sollen, was wirklich in ihr steckt. Aber auch der gutgelaunt menschelnden Petra aus dem Osten, aus dem rückbenannten Chemnitz, platzt trotz aller Gutwilligkeit bei dem zu servierenden Klischee der rechtsradikalen Ostjugend der Kragen. So wähnt sich bei der Endausscheidung zur Moderatorin der neuen Reality-Soap-Serie die verwöhnte Lilly aus Best of West-Berlin ­ dem gutbürgerlichen Zehlendorf ­ schon am Ziel ihrer Sternchen-Träume. Als diese bei einer akustischen Fehl(?)schaltung jedoch mitkriegt, welch fieses Spiel auch mit ihr gespielt wird, proben alle zusammen auf der Bühne den Aufstand, geben die Verarschung zurück, weil sie die Nase endgültig voll haben. Nicht sie fühlen sich als „creeps", als Versager und Nieten, sondern erkennen überraschend schnell die Crew als „Fieslinge, widerwärtige Menschen" in der zweiten Bedeutung des englischen Titelbegriffs.

Diese ausgebufften Medienprofis aber haben längst aus dem kompletten Präsentieren und Unterhalten, ob bei roten Lampen oder nicht, ein oberflächlich-gefälliges Jingle-Werbefilmchen zusammengemanscht, in dem Euphorie und Tränen, Entrüstung ebenso wie Ulk und Tanz als authentisches Bild- und Tonmaterial verarbeitet wurden, ohne daß von dem ursprünglichen Sinnzusammenhang noch etwas übriggeblieben wäre.

Das medienkritische Stück des GRIPS-Theaters über private TV-Sender, die technische Kommunikationsmöglichkeiten für dusselige Kommerzmagazine verschwenden, entlarvt diese virtuelle Scheinwelt flott und geistreich und gibt mit dem fundierten Programmheft durchaus weiterreichende Anstöße. Denn gerade in der profitorientierten individualisierten Risikogesellschaft mit sich auflösenden sozialen Bindungen hätten Film und Fernsehen in der kulturvollen Diskussion von Werten und Lebensentwürfen eine wichtige Integrationsfunktion. Stattdessen haben aber auch die öffentlich-rechtlich Organisierten ihre Sinnsegel längst gestrichen und hecheln allzuoft öden Sendeformaten à la „Mein Freund furzt beim Mittagsschlaf" und „Die dümmsten Pudel der Welt" quotengeil hinterher.

Franz-Josef Paulus

„CREEPS" ist im GRIPS-Theater, Altonaer Str. 22 (direkt am U-Bhf. Hansaplatz), wieder zu sehen am 20. September um 18 Uhr, am 21. um 19.30 Uhr und vom 23. bis 25., jeweils um 10 Uhr. Reservierungen für die Vormittagsveranstaltungen werktags 10 bis 17 Uhr unter fon 3974740, für die Abendvorstellungen unter fon 39747477

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