Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Immer verdächtig

Kleine Anekdote zum Thema Integration

Es war der 12. September 2001 in einer kleinen Siedlung am Rande der Berliner Innenstadt. Ich saß mit meiner Mutter im Wohnzimmer und diskutierte, wie alle an diesem Tag, über das, was am Vortag in den USA geschehen war. Ich bin nicht sicher, wie viele Verschwörungstheorien an diesem Nachmittag in unserem Haus aufgestellt wurden, aber es waren allesamt sehr unrealistische Vermutungen, eine skurriler als die andere. Die entschieden skurrilste Vermutung aber war die der Berliner Kriminalpolizei.

Es klingelte an unserer Tür und meine Mutter machte auf. Ich konnte mir einen neugierigen Blick auf die Fremden nicht verkneifen: Es waren eine normal aussehende Frau und ein normal aussehender Mann, nichts ungewöhnliches, wenn wir eine normal aussehende Familie wären. Sind wir aber nicht. Meine Eltern, beide aus arabischen Ländern emigriert, haben nach 28 Jahren Aufenthalt in Berlin die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt, nach viel zu vielen Jahren Papierkrieg mit den deutschen Behörden, und dies nicht zuletzt aus dem Grund, daß mein Vater Palästinenser und somit staatenlos war. Normal Aussehende sind an unserer Tür etwas Ungewöhnliches; deutschen Besuch bekamen wir ausschließlich, wenn es ums Geschäft oder – häufiger noch – ums Gesetz ging.

Da sie keine Uniformen trugen, konnte ich mir keinen Reim darauf machen, wer sie waren. Meine Mutter ­ gastfreundlich, wie man es in ihren Breitengraden gewohnt ist ­ bat die Gäste in die Küche und lud sie auf einen Kaffee ein. Es war ihnen unangenehm, so freundlich behandelt zu werden. Anscheinend brachten sie schlechte Nachrichten. Nach kurzer Zeit konnte ich die laute Stimme meiner Mutter hören, die Stimme, die sie immer benutzte, wenn sie jemanden runtermachen wollte. Mit Erfolg, denn sie diskutierten nicht lange; kurze Zeit später gingen sie und hinterließen einen Brief. In diesem Brief erklärten sie in wenigen Worten, wozu sie eigentlich gekommen waren: Nämlich um meinen Vater zu sehen und ihn zu bitten, sich mit der Kripo in Verbindung zu setzen, falls er in direktem oder indirektem Kontakt zu terroristischen Vereinigungen stünde oder auch nur andeutungsweise etwas über die Hintergründe des 11. September erfahren hatte. Außerdem machten sie auch noch darauf aufmerksam, daß mein Vater sich durch das Verschweigen solcher Informationen strafbar machen würde.

Wie meine Mutter erfuhr, hatte die Kripo an diesem Tag nicht nur bei uns gesucht. Viele der Kollegen waren unterwegs, um bei verdächtigen Leuten nach Hinweisen zu suchen, wer mit dem Attentat in Verbindung steht. Das sagten sie meiner Mutter wie zur Beruhigung, aber die war gar nicht beruhigt, eine von vielen Verdächtigten zu sein. Sie erkundigte sich erregt, was sie denn gerade bei uns zu finden hofften. Die Beamten wurden verlegen: Mein Vater sei doch bei dieser Organisation, vielleicht könnten die was wissen. Da platzte meine Mutter. Bei „dieser Organisation" handelt es sich um die Palästinensische Gemeinde von Berlin/Brandenburg, ein Verein, der Spenden für verarmte palästinensische Familien sammelt – wahrlich keine organisierte Verbrecherbande.

Ich war vollkommen sprachlos. Ich konnte einfach nicht glauben, daß wir in diesem Land, das wir schon fast unsere Heimat nennen konnten, derart mißtrauisch beobachtet werden. Ich wollte schon zum Hörer greifen und meinen Freundinnen alles erzählen, aber meine Mutter hielt mich zurück: Über solche Dinge spricht man nicht am Telefon. Später am Nachmittag kam mein Vater nach Hause. Er war empört, daß man ihn der Mithilfe bei der Ermordung tausender Menschen verdächtigte. Aber verwundert wie ich war er nicht. Er ist es gewohnt, vom Staat als Außenstehender betrachtet zu werden – und als solcher ist er eigentlich immer verdächtig.

Rima El-Khaled

Die Autorin ist 15 Jahre alt und in Berlin geboren. Ihre Eltern stammen aus Palästina bzw. Algerien.

Die Palästinensische Gemeinde Berlin/Brandenburg ist nach Auskunft der Ausländerbeauftragten des Landes Berlin eine Organisation, die „beruhigend auf die Palästinenser einwirkt". Sie steht nicht unter Beobachtung.

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