Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
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Das ist was anderes

Wann Ausländer in Mode sind

Um eins gleich klarzustellen: Ich mag diese Stadt, und ich bin gerne hier. Aber ich weiß nicht, ob ich hier Zuhause bin. Ich spreche praktisch den ganzen Tag lang spanisch, ich studiere an der spanischen Fernuniversität, und meine Muttersprache verschafft mir auch den Lebensunterhalt: Ich arbeite als Kellnerin in spanisch aufgemachten Restaurants, wo ich zu den Gästen „Gracias, Señor" und „Adíos" sagen soll. So fühlen sie sich in den Urlaub zurückversetzt, ins warme, freundliche Spanien – außer vielleicht nach Mallorca, wo Deutsch gesprochen wird, aber das ist was anderes. Außerdem gebe ich Sprachunterricht, was gut läuft, denn Spanisch ist in Mode.

Ich bekomme von diesem Land selten etwas Positives zu hören, weder in der Kolonie der Südländer, in der ich mich meistens bewege, noch von den Deutschen selbst. Hier wie dort wiederholt man bis zur Ermüdung die immer gleichen Stereotypen, wie „kalt" die Menschen hier sind, wie „fantasielos" und auch wie „langweilig". Es ist wohl normal, daß Ausländer über die Einheimischen schimpfen, auch auf Mallorca soll das manchmal so sein. Aber auch die Deutschen in meinen Spanischkursen scheinen unzufrieden mit ihrem Land; die meisten von ihnen kommen zu mir, um eines Tages nach Spanien oder Lateinamerika auszuwandern. Aus irgendeinem Grund glauben sie, daß ihr Leben dort besser wäre, dort, wo die Leute tanzen und lachen, sich ohne Unterlaß besaufen und beständig voller Leidenschaft sind, und das bei gutem Wetter. Ihr Leitbild ist die erotische Vorstellung, sich bei 40 Grad im Schatten mit einem Torero zu lieben, der dabei pausenlos lustige Sachen erzählt.

Alle meine Schüler sind Bewunderer derart charismatischer Länder und Kulturen; meistens ist es Spanien und Südamerika, aber auch Polen, Rußland, Frankreich und ­ wie könnte es anders sein ­ „La bella Italia" sind dabei. Es gibt auch solche, die nach Afrika oder Asien süchtig sind, oder nach fremden, geheimnisvollen Religionen, die ich weder verstehe noch beschreiben kann, aber das scheint ihnen selbst nicht anders zu gehen.

Einer meiner Konversationskurse besteht fast nur aus Schülern, die außer Spanisch noch andere Fremdsprachen sprechen. Sie haben in Tschechien oder Polen gelebt und fühlen sich zu den Ländern des Ostens hingezogen. Jetzt möchten sie nach Spanien. Es sind aufgeschlossene Menschen, und ich stellte ihnen folgende Frage: „Was denkst du über die Ausländer in Deutschland? Sind sie ein Problem oder nicht?" Die Reaktion war überraschend. Man spürte, daß ihnen meine Frage unangenehm war. Ihnen, die in wenigen Monaten Ausländer werden wollen, fielen zu dem Thema als erstes technokratische Begriffe ein: die Arbeitslosenrate oder der Anstieg der Kriminalität. Nein, fremdenfeindlich sind sie nicht. Im Gegenteil machen sie sich Sorgen wegen rechtsradikaler Tendenzen: in Österreich, Holland und Frankreich ...

Bei den anderen Kursen ging ich sorgfältiger vor. Ich hatte Angst vor voreiligen Antworten. Zunächst befragte ich die Schüler, ob sie schon einmal im Ausland gelebt hätten und wie ihre Erfahrungen gewesen seien, ob sie dort Menschen kennengelernt oder gar Freundschaften geschlossen hätten. Erst dann kam die Ausländerproblematik zur Sprache.

Einer der Kurse besteht aus Studentinnen der Romanistik. Sie haben in Kuba, Bolivien, Mexiko oder Spanien gelebt, reisen regelmäßig dorthin und beherrschen die Landessprache; nun bereiten sie ihre Examen vor. Sie erzählten mir, wie gern sie diese Länder haben, und auch, daß sie mit der Anwesenheit von Latinos in Deutschland einverstanden seien – solange sie nicht auf der Straße ständig Frauen anlabern. Damit haben die Studentinnen ein Problem, ich weiß nicht, wie sie es in Lateinamerika ausgehalten haben. Hier in Deutschland, so finden sie, sollten die Latinos auf derlei Auffälligkeiten verzichten, sie sollen sich integrieren, eindeutschen, sie müssen aufhören, sich wie in ihrer Heimat zu benehmen, und eine Reihe selbstverständlicher soziokultureller Normen übernehmen: Du sollst nicht schreien! Du sollst nicht bei Rot über die Ampel gehen! Du sollst einen Euro mit dir führen, wenn du zum Supermarkt gehst! Das gleiche gilt für die Muslime, die ihre Frauen mißhandeln, und besonders für die Türken, die zur Integration offenbar unfähig sind und sich schlicht weigern, Deutsch zu lernen (ich frage mich, warum). Schlimm ist es auch mit den Polen und Russen, die als gefährlich gelten, wohingegen die Ukrainer noch ganz in Ordnung sind. Jedes dieser Völker hat seine historischen, politischen oder kulturellen Besonderheiten. Wenn die Deutschen romantisch werden und unter Fernweh leiden, bewundern sie solche Phänomene als authentisch und exotisch. In der Ausländerdebatte hingegen findet man sie kritikwürdig, eigentlich inakzeptabel.

Das Ende der Übung bestand in der Feststellung, daß auch ich eine Ausländerin bin. Ich hatte Glück. Schließlich bin ich Europäerin, und noch dazu aus Spanien – für meine Schüler ein klarer Fall: „Das ist was anderes." Ich bin mir da nicht so sicher.

Ana Muñoz

aus dem Spanischen von: Paul Grass

Die Autorin ist 29 Jahre und kommt aus Spanien. Sie lebt seit vier Jahren in Berlin.

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