Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Sex and Crime

Das wilde Fest von J.M. March als Hörerlebnis

Wer die Qualität der eigens für das DeutschlandRadio produzierten Sendungen schätzt, wird es oftmals bedauern, daß vieles im Archiv verschwindet und damit einem wiederholten Hören in der Regel unzugänglich ist. Einen kleinen Lichtblick gibt es aber schon, denn die Kooperation zwischen DeutschlandRadio und dem Audioverlag sorgt dafür, daß manche Produktion nun als Audio-CD unter die Leute gebracht werden kann.

Auf diese Weise konnte jetzt die schon 1997 produzierte Lesung Otto Sanders von Joseph Moncure Marchs Das wilde Fest als Hörbuch veröffentlicht werden. Marchs Poem The Wild Party ist ein sogenannter „wiederentdeckter Klassiker". In kleiner Auflage 1928 in den USA erschienen, war es zwei Jahre später auf dem Index. Erst 1994 wurde es – mit Schwarzweißzeichnungen von dem vor allem durch seine beiden Maus-Bände bekanntgewordenen Art Spiegelman – als „lost classic" wiederveröffentlicht.

Es geht um Vaudeville-Tänzerinnen und kleine Ganoven; es ist die Geschichte von Queenie und Burrs, die mal wieder ein Fest feiern, wo sich die Halbwelt trifft und die wilden Zwanziger wirklich wild sind. Es herrscht die Prohibition, aber gerade deshalb fließt der Alkohol in Strömen. Liebe, Sex und Gewalt sind weitere Ingredienzen, die die Stimmung aufheizen, bis zum Höhepunkt, der in einem Mord aus Eifersucht gipfelt. Sander paßt seine Stimme geschmeidig dem Text an, er säuselt, er knarrt, er flötet, er poltert. Er unterstreicht die Musikalität, die diese Verse besitzen. Der Rhythmus wird, wie im Jazz, von Synkopen bestimmt, je mehr sich die Ereignisse zuspitzen, desto atemloser wird die Sprache. Entlang dieser Sprache hat Günter „Baby" Sommer eine Musik komponiert, die der Stimmung der zwanziger Jahre nachspürt, ohne nostalgisch zu werden, eingespielt von hervorragenden Musikern, unter ihnen Ernst Ludwig Petrowsky und Ulrich Gumpert. Ihr Jazz trägt zur Dramatisierung bei, ohne sich je in den Vordergrund zu spielen, Sanders Stimme und die Musik steigern sich gegenseitig.

Ergänzt wird die CD durch ein informatives und schön gestaltetes Booklet. Beim Titelfoto steht zu vermuten, daß es von einem Mann ausgesucht wurde, für den das Foto einer barbusigen Tänzerin aus den Zwanzigern das höchste Maß an Verruchtheit darstellt.

Etwas störender ist da an manchen Stellen Uli Beckers deutsche Übersetzung. Marchs Verse leben von ihren sprachlichen Bildern, das freie Versmaß bringt Rhythmus in den Text, was vom Reim noch unterstützt wird. In der deutschen Fassung wirkt sich dieser Reimzwang aber eher negativ aus, wenn der Reim z.B. durch banale Sprachbilder erkauft wird und damit den Text seiner Poetizität beraubt. Wirklich beeinträchtigen kann das das Hörerlebnis aber nicht.

Carola Köhler

Joseph Moncur March, „Das wilde Fest", CD mit 16-seitigem Booklet, DeutschlandRadio/Der Audioverlag 2002. 15,95 Euro, Bezug schriftlich gegen Verrechnungsscheck (zzgl. 3,60 Euro Porto u. Versandkosten) über DeutschlandRadio, Marketing und Service GmbH, Raderberggürtel 40, 50968 Köln, oder über Internet www.dradio-shop.de

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 06 - 2002