Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
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Prüfstand 7 oder die Enden der Geschichte

Ein filmischer Essay über den Mythos der deutschen Rakete

Historische Dokumentationen haben im Kino zur Zeit Konjunktur. Prüfstand 7 fällt dabei ein wenig aus dem Rahmen. Sollte Geschichte einen sorgfältigen Blick überhaupt wert sein, weist sie stets über die Gegenwart in die Zukunft. Wird die akademische Vermessenheit eines Historikers einmal aufgegeben, ist die Annäherung an die Geschichte darum immer fragmentarisch und perspektivisch. Prüfstand 7 von Robert Bramkamp macht da erfreulicherweise keine Kompromisse. Die Protagonistin des Films ist die deutsche Rakete – oder vielmehr ihr durch die Schauspielerin Inga Busch personifizierter Geist, auf der Suche nach seinem Ursprung. Dabei enthält sich der Film der Enscheidung, ob die Rakete eine Maschine aus vielen tausend Einzelteilen, ein Kunstwerk, ein Mythos oder schlicht ein kulturgeschichtliches Phänomen ist.

Zu den Stationen der Suche gehören nicht nur das ehemalige Technikzentrum Peenemünde, von dem aus 1942 die erste Rakete ins Weltall startete und auf dessen Gelände heute ein vergnüglicher „Space-Park" entstehen soll, oder die von der SS geleiteten ehemaligen Produktionsstätten der V2-Raketen, die 20000 Häftlingen das Leben kosteten. Sie führt auch ins Berliner Kinomuseum, das mit gerechtfertigtem Stolz eine von der Spionageabwehr noch nicht ausgedünnte Fassung des Fritz-Lang-Films Die Frau im Mond von 1929 beherbergt, und auf die verkehrsumbrandete Terrasse der Schriftstellerin Ruth Kraft, die als 19jährige in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde als „Rechenmädchen" arbeitete. Die Wege des Raketengeistes kreuzen sich dabei mit anderen Suchenden, die dem Held aus Thomas Pynchons Roman Die Enden der Parabel nachspüren und der Frage, ob die Rakete eher als Phallussymbol oder als Maschinenbraut ihre Faszination ausübt. Dort, wo sie sich knapp verpassen, ergeben die Antworten auf ihre Fragen jeweils andere Bilder der Rakete: Technische, politische, assoziativ metaphorische und kulturwissenschaftliche Perspektiven ergänzen sich gegenseitig, ohne daß sie in einen Wettstreit um die einzig wahre Ebene treten.

Trotz seiner Verschränkung von dokumentarischen Archivmaterial und oftmals laienhafter Inszenierung ist Prüfstand 7 stets mehr als eine Spielerei mit einer privaten Obsession. Als essayistische Collage mag der Film, jenseits von akademischer Ernsthaftigkeit und Belehrung, nicht jedermanns Sache sein. Aber der Mut, die Annäherung an einen Mythos auch formal zu reflektieren, macht ihn sympathisch. Die derzeit erfolgreichen deutschen Dokumentarfilme (Black Box BRD, Berlin Babylon, Uckermark) zeichnen sich eher durch eine versöhnliche Unparteilichkeit aus und behandeln die Geschichte wie einen kollektiven Speicher, in dem kontinuierlich Daten gesammelt und abgeheftet werden. Prüfstand 7 scheint dagegen in der Tradition von Alexander Kluges Die Patriotin (1977-79) zu stehen, der gesellschaftliche Wirklichkeit nicht darstellen wollte, sondern sich bemühte, ihr etwas beizutragen.

Katrin Scharnweber

„Prüfstand 7", Deutschland 2001, Regie: Robert Bramkamp, mit Inga Busch, Helmut Höge, Friedrich Kittler u.a.
Ab 27. Juni zu den Hackeschen Höfen

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  Ausgabe 06 - 2002