Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Piña Colada mit Fischeinlage

Wie funktioniert das Zusammenleben von Hausbesetzern und Twen-Gastronomie?

Ruhig geworden ist es nie in der Besetzermeile Rigaer Straße. So gibt es auch heute noch Versuche, die größtenteils seit der Wende besetzten Häuser dem üblichen Immobilienverwertungsprozeß zu unterwerfen. Jüngstes Beispiel ist die „Ka(d)terschmiede" in der Rigaer 94. Auch nachts ist es lebhaft, Betrunkene grölen, Hunde bellen. Ein lohnenswerter Standort für Gastronomen, und so ist seit kurzem das vormals leerstehende Parterre des Squats an der Ecke Proskauer Straße 10/Rigaer Straße 84 das Domizil des Restaurant-Cafés „Sando". Ein gewöhnungsbedürftiger Anblick: schwarz-rot und polierte Weingläser. Gemeinsam mit dem gegenüberliegenden Ensemble der „Ex"-Cocktailbar und „Kejes"-Bistro kommen Befürchtungen auf, der Simon-Dach-Klüngel könnte in den Nordkiez schwappen. In der Tat hat die Durmaz-Familie, die alle drei Läden betreibt, auch Verflechtungen dorthin. Suat, zuständig für den Betrieb der Ex-Bar, will davon aber nichts wissen: „Die Simon Dach ist ungemütlich, es geht nur um sehen und gesehen werden." Hier dagegen will er einen angenehmen Ort schaffen, mit einer entspannten Atmosphäre ohne Schickimicki. Sein Blick schweift zum Fenster. Gegenüber liegt die Besetzerkneipe „Fischladen", Punks und Hunde haben es sich davor bequem gemacht. „Manchmal passieren Sachen, die nicht geschehen sollten", sagt Suat. „Wenn drüben Parties sind, ist es nicht möglich, dort zu parken." So wurde er von Leuten angesprochen, deren Auto beschädigt wurde. Die Straße wird von Partybesuchern verschmutzt, manchmal kommt die Polizei. Suat: „Ich verstehe dieses Verhalten nicht." Aber es ist viel los, das gefällt ihm. Er und seine Verwandten kennen das aus Kreuzberg, wo sie Erfahrungen mit Hausbesetzern sammeln und Freunde unter ihnen finden konnten. „Kreuzberg ist gelassener, es gibt Besetzerfamilien und mehr Miteinander zwischen ihnen und Türken." Insgesamt spricht er von einem guten Verhältnis, die Besetzer kommen Cocktails trinken, man unterhält sich. Für ihn, so sagt er, wäre diese Lebensweise aber nichts.

Er wünscht sich ein gemeinschaftliches Auskommen mit den Besetzern, denn hier „wollen wir uns etwas aufbauen, uns eine Existenz schaffen. Nun sind wir da, die sind da, wir müssen tolerant sein." Das ist natürlich nicht einfach, solange einige Besetzer die Cafés als Kapitalisten-Wärmstuben ablehnen. Als Teil der Gentrifizierung sieht Suat sein Handeln nicht: „Die Aufwertung findet auch ohne uns statt, überall in Berlin, guck dir Prenzlberg an, oder Kreuzberg, das ist jetzt auch anders als vor 15 Jahren."

>Das sieht man im Fischladen ähnlich und sieht sich in der Kapitalismuskritik bestätigt. Karlo aus der Rigaer 84 berichtet von der Angst der Besetzer, daß der nun ausgelöste Prozeß auch sie verdrängt: „Wenn die Gegend hier durch solche Läden teurer wird, steigt auch das Interesse der Immobilienmafia an unseren Häusern, und das Angebot unkommerzieller Kultur, die ja erst den Boden bereitet und die Gegend attraktiv gemacht hat, wird unmöglich." Über kurz oder lang könnte der Eigentümer das Haus räumen und schicksanieren – ein Schritt übrigens, den einige Ex-Besetzer schon selbst unternommen haben und nun als Hausbesitzer hinter frisch gestrichenen Fassaden leben, wie z.B. im „Schizzotempel", Nummer 77. Karlo macht aber auch deutlich, daß er das Verhältnis zu seinen Gegenübern als entspannt empfindet: „Das sind nette Leute, in gewisser Hinsicht haben wir es gut getroffen mit ihnen." Sicher gebe es Bewohner, denen die Existenz solcher Läden gegen den Strich gehe, allein schon, weil man sie sich nicht leisten kann und sich wie im Sozialzoo fühlt. Aber mit den Betreibern könne man gut auskommen, jemand anders hätte das Sando sicher nicht störungsfrei eröffnen können: „Daß die Leute sympathisch sind, macht Aktionen gegen sie unmöglich." Auf die Idee, eine Art runden Tisch einzurichten, um die Befürchtungen der Besetzer zur Sprache zu bringen, ist allerdings noch niemand gekommen. Aber es wäre eine gute Idee, findet Karlo.

An Kommunikation ist auch Suat interessiert. „Wir sind ja auch politisch. Ich bin Künstler und habe damals an Aktionen gegen die Öffnung der Oberbaumbrücke teilgenommen." Inzwischen geht er die Sache anders an: „Man muß es zu etwas bringen, etwas schaffen, um etwas verändern zu können. Wenn man die Konfrontation sucht, landet man im Knast und kann nichts bewegen." Ein Miteinander von seiner Familie und den Besetzern empfindet er als wünschenswert. Es müßte also eine gemeinsame Ebene gefunden werden, damit die Ecke so nett wird, wie Suat es sich vorstellt.

Bisher aber bleibt der Eindruck, daß zwei verschiedene Welten einander auf der Rigaer Straße gegenüberliegen. Man muß abwarten, ob die Gastronomen und die Besetzer zu einer gemeinsamen Basis finden.

Michael Welskopf

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