Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Treuherzige Appelle

Nach dem Potsdamer Platz wird nun auch der Alex privaten Interessen überlassen

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist ein selbstbewußter Verein. Andere Behörden verwalten ihre Haushaltslöcher und sind froh, wenn es keiner merkt. „Supersenator" Peter Strieder und seine Crew aber halten unbeirrt an den riesigen Plänen der Neunziger fest und lassen es auch an großen Worten nicht mangeln. Es scheint, daß sie damit Erfolg haben. Der lang erwartete Umbau des Alexanderplatzes, Strieders „Symbol für die innere und identifikatorische Vereinigung der Berliner", könnte nun endlich in Gang kommen.

Wie in diesen Kreisen üblich, ist mit Umbau zunächst Abriß gemeint. Bis auf das Haus des Lehrers, den Bahnhof und die frühmodernen Bauten davor sollen alle Gebäude fallen. Nach dem Muster der Friedrichstraße will man den ganzen Bereich mit Blockrandbebauung zupflastern, mit Privatstraßen dazwischen und darunter großzügigen Tiefgaragen. Aus den neungeschossigen Blöcken soll später ein ganzes Rudel von Wolkenkratzern herauswachsen ­ mit einer Höhe von zwei Dritteln des Fernsehturms. So sieht es der Entwurf vor, mit dem 1993 Kollhoff und Timmermann den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen hatten, und so schreibt es seit 1999 der Bebauungsplan vor. Danach war es still geworden um das Projekt. Da einerseits niemand Kollhoffs Klötze brauchte und andererseits nichts anderes gebaut werden durfte, blieb alles beim Alten.

Im sogenannten Kernbereich, dem Gebiet direkt um den eigentlichen Alexanderplatz, haben sich die Investoren nun überreden lassen. Sie sicherten zu, bis spätestens 2006 mit ihren Bauten zu beginnen und 2013 alles fertig zu haben, was der Bebauungsplan vorschreibt, einschließlich der sieben Wolkenkratzer. Ein leichtfertiges Versprechen: Dieser enorm teure Bautyp rechnet sich in den hoch verdichteten Zentren Hongkongs oder Manhattans, aber kaum in einer so weitläufigen und dezentral organisierten Stadt wie Berlin. Vor allem aber besteht schlicht kein Bedarf: Der Berliner Wohnungsmarkt gilt als gesättigt, und auch bei den Büroflächen sind über sieben Prozent unvermietet. Für die rund 400000 Quadratmeter, die allein im „Kernbereich" geplant sind, müssen darum Großkonzerne gefunden werden, die ihre gesamte Firmenzentrale an den Alex verlegen. Und zwar jede Menge: Ver.di und Universal Music beispielsweise, die einzigen nennenswerten Neuansiedlungen der letzten Jahre, bringen es zusammen auf 40000 Quadratmeter. Nur Träumer können hoffen, in vier Jahren zwanzig solcher Mieter an den Alex zu holen. Die HINES-Gruppe, die an der Südostecke des Platzes bauen will, umschrieb die Motivation für ihr Engagement denn auch so: Sie wolle „ein Zeichen zum Aufbruch" geben. Nach solider Planung klingt das nicht. Strieder vertraut unsere „identifikatorische Vereinigung" offenbar Unternehmen an, die nach dem Prinzip Hoffnung investieren.

Foto: Mathias Königschulte

Was geschieht, wenn die Investoren (oder ihre Gläubiger) die Hoffnung einmal verläßt, kann man schon erahnen. Sie können jederzeit mit Rückzug drohen ­ und mit gigantischen Bauruinen mitten auf Berlins prominentesten Platz. Für dieses Szenario hat Strieder keinerlei Vorkehrungen getroffen. Geht die ganze Planerei dann von vorne los, oder greift der Senat den Unternehmen unter die Arme? Die Immobilienspekulationen der Bankgesellschaft haben gezeigt, was für Kosten da auf ihn zukämen. Schon jetzt machen die Investoren die Hand auf: Vor drei Jahren hatte der Senat ihnen 29 Prozent Kostenbeteiligung bei der öffentlichen Infrastruktur zugesagt. Die erste Baumaßnahme, die Sanierung der Platzfläche, zahlt er nun aber zu 44 Prozent ­ ein Apettitanreger von einigen Millionen Euro. Die Oppositionsparteien im Abgeordnetenhaus schimpfen.

Aber Strieder wird nicht nur finanzielle, sondern auch städtebauliche Zugeständisse machen müssen. Von der ursprünglichen Vorgabe etwa, zehn Prozent der Flächen für kulturelle Nutzungen zu reservieren, ist nur noch ein treuherziger „Appell" übriggeblieben. Auch Strieders Forderung, „die Maximierung der Bruttogeschoßflächen den Gestaltungsprinzipien unterzuordnen", ist erschreckend unverbindlich. Und sein Zeitplan war von Anfang an nur eine Ab- sichtserklärung: Die Investoren entscheiden nicht nur wie, sondern auch wann sie bauen. Hier wird sich rächen, daß Kollhoffs Blöcke nicht für eine stufenweise Realisierung komponiert sind. In der Gruppe mögen sie dramatische Straßenschluchten bilden und mit ihren Türmen aufregend an Chicago erinnern. Bleiben sie aber einzeln, werden sie zwischen den Resten der alten Bebauung, weiten Baulücken und womöglich einigen gähnenden Baugruben bezugs- und maßstabslos herumstehen. Wagners „Weltstadtplatz"-Planungen erging es in den Dreißigern ähnlich, obwohl sie nur mit einem Bruchteil von Kollhoffs Baumassen operierten. Und auch die Stadtplaner der DDR, mit einem ganzen Staatshaushalt im Rücken, haben sich mit dem Alex übernommen. So ist das mit überdimensionierten Projekten: Sie bleiben ­ halbfertig ­ stecken.

Einige der Investoren fühlen sich denn auch in Strieders Umarmung sichtlich unwohl. Sie drängen darauf, bescheidenere Varianten durchzurechnen, auf den einen oder anderen Turm zu verzichten und vor allem: den Platz jetzt und so, wie er ist, zu nutzen. Es ist ja auch wirklich nicht so schwer: ein Biergarten zwischen Saturn und Strassenbahn, wie es die Betreiber des Forum-Komplexes zur Zeit planen, ein paar Läden vor die tote Fassade des Kaufhofs, eine Öffnung der U-Bahnhöfe, vielleicht eine Zeile von Kaffeehäusern und Restaurants an die offene Südseite des Platzes ­ wenn es um eine umsichtige Verbesserung der Platzqualitäten geht, herrscht an Ideen kein Mangel. Der Alex ist funktionsfähig, viele sind sogar der Meinung, daß er bereits funktioniert. Statt ihn unerreichbaren Plänen zu opfern, sollten unsere Stadtentwickler endlich tun, was ­ jenseits der großen Worte ­ ihre Aufgabe wäre: entwickeln, und vorher noch: entwickeln lassen. Der Plan des Supersenators aber scheint es zu sein, alles anders, nichts aber besser zu machen.

Johannes Touché

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 06 - 2002