Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Mietergenossenschaften ohne Perspektive

Die Förderung von Mietergenossenschaften war ein zentraler Punkt in den wohnungspolitischen Zielvorgaben der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS. Nachdem die Verhandlungen zum Stadtentwicklungsetat im Hauptausschuß abgeschlossen sind, steht nun fest: Nur die im letzten Jahr gegründeten Mietergenossenschaften bekommen noch Fördergelder, um Häuser zu kaufen. Damit können zumindest die Mitglieder der bereits gegründeten Genossenschaften etwas sicherer planen, nachdem sie fassungslos verfolgen mußten, wie ihnen während der Verhandlungen um den Doppelhaushalt 2002/2003 der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Als sich noch unter der großen Koalition abzeichnete, daß die städtischen Wohnungsbaugesellschaften zur Haushaltssanierung und zur eigenen Entschuldung einen großen Teil ihrer Wohnungsbestände verkaufen müßten, befürchtete man nicht ohne Grund den schleichenden Ausverkauf der „Mieterstadt" Berlin an renditeorientierte Großinvestoren. Der entstandene politische Gegenwind, welcher insbesondere die SPD in parteiinterne Zwistigkeiten stürzte, drohte das gesamte Sanierungskonzept zu kippen – bis die Koalitionäre eine elegante Lösung fanden. Mit einer Förderung eigentumsorientierter Mietergenossenschaften wollte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen sollten die Befürchtungen der Mieter zerstreut werden, deren Wohnungen verkauft würden – sie dürften nun ihre Wohnungen selber erwerben. Zum anderen brächte eine Neugründung von Mietergenossenschaften eine Erhöhung der Eigentumsquote, die in Berlin weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Darüber hinaus half der Rückgriff auf den höchst sozialdemokratischen Genossenschaftsgedanken bei der Durchsetzung der umstrittenen Verkaufspolitik innerhalb der SPD. Die Modalitäten der Förderung wurden bald in einer „Genossenschaftsrichtlinie 2000" festgelegt, welche im wesentlichen drei Eckpfeiler vorsieht: erstens Zuschüsse für die Gründung von Mietergenossenschaften, zweitens zinslose Darlehen, um beitrittswilligen Mietern den Kauf von Genossenschaftsanteilen zu ermöglichen, und drittens günstige Kredite für die Genossenschaften zum Kauf von Häusern.

Was anfangs als rundes Finanzierungskonzept erschien, wurde durch den jüngsten Kurswechsel in der Stadterneuerungspolitik zur Makulatur. Wie die Vertreter des Ressorts Stadtentwicklung auf dem ersten diesjährigen „Stadtforum von unten" einräumten, erkannte man erst jetzt, daß die Mietergenossenschaften nicht überlebensfähig sind, wenn man sie nicht auch bei der Sanierung des erworbenen Bestandes unterstützt. Die ausgewiesenen Fachleute hatten übersehen, daß die Wohnungsbaugesellschaften zuerst ihre unrentabelsten und damit sanierungsbedürftigsten Bestände auf den Markt bringen würden. Neugegründete Mietergenossenschaften aber können mangels Eigenkapital keine größeren Kredite von Privatbanken erhalten, um selbst zu sanieren. Deshalb müßte es mindestens zwei weitere Förderinstrumente geben: eine Sanierungsförderung gemäß der Förderrichtlinien im Alt- und Plattenbau sowie eine Kofinanzierung von Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau durch das Land Berlin. So könnten die Genossenschaften die notwendigen Eigenmittel aufbringen. Nur im Plattenbau ist eine Sanierungsförderung angeblich gesichert. Für den Rest sieht es düster aus. Dort strich man die Förderprogramme im Zuge der Haushaltsverhandlungen ersatzlos.

Wenn nur eine der beschriebenen Finanzierungssäulen wegbricht, fallen die Finanzierungskonzepte der Genossenschaften in sich zusammen. Die Genossenschaftsrichtlinie droht zur Totgeburt zu werden. Letztlich bleibt nur der Appell an die politisch Verantwortlichen, die Karten offen auf den Tisch zu legen und Genossenschaftern wie Wählern zu erläutern, welche finanzielle Perspektive den Mietergenossenschaften nach einem Bestandserwerb denn noch bleibt.

Thorsten Friedrich

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