Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Pfingstwunder? Kommerzparade?

Der Karneval der Kulturen ist nicht mehr, was er einmal war – die Massen werden trotzdem kommen

„You can't stop carnival!" ist der Eingangssatz der diesjährigen Info-Broschüre zum Karneval der Kulturen. Er bezieht sich auf die Veranstaltung im letzten Jahr, da trotz Regens über eine halbe Million den Umzug der Karnevalisten besuchte.

Der Karneval der Kulturen, von den Veranstaltern euphorisch delirierend als „Pfingstwunder" bezeichnet, zog seit seiner erstmaligen Ausrichtung 1996 stetig mehr Publikum an. Fröhlich, bunt, laut: Er ist eines der Aushängeschilder Berlins, Liebling der Presse und von Politikern gern herbeizitiert, wenn es darum geht, die Multikulturalität der Stadt herauszustreichen.

Nach dem letzten Karneval wurden jedoch Stimmen laut, die trotz grundsätzlicher Zustimmung die zunehmende Kommerzialisierung des Festes kritisierten. Man sprach von einer Loveparadisierung und bedauerte, „daß der Karneval dem Wahn des Immergrößer und Immermehr so widerstandslos entgegentritt."

Die Veranstalter bestätigen, daß der Karneval mehr als in seinen Anfängen von Sponsoren abhängig ist. Die beteiligten Gruppen seien mitunter auf die finanzielle Unterstützung durch Firmen angewiesen – mehr Werbung ist die Konsequenz. Das wäre jedoch eine zwangsläufige Entwicklung, argumentieren sie, wenn man den Anspruch hat, nicht nur ein Kiezfest zu sein. Man verfolge zwar keine Expansionsphilosophie, aber man stelle sich auch nicht quer, wenn immer mehr Menschen zum Karneval kommen. Das verhelfe der Idee des Festes doch gerade zu mehr Akzeptanz. Und mit der Love Parade könne man das nicht vergleichen.

Genau besehen, läßt sich nicht eben viel gegen den Karneval sagen. Er bietet nur das, was er verspricht: Karneval, getragen von einem leicht verwaschenen Multikulti-Gedanken. Dagegen kann man etwas haben ­ aber als Gegenstand einer radikalen Kapitalismus-Kritik ist der Karneval denkbar ungeeignet. Die Forderung, die Veranstaltung solle nicht zu einem Riesenvolksfest mit „Bolleberlinern" verkommen, diskrediert sich selbst durch die elitäre Grundhaltung dem „Pöbel" gegenüber und für den Feind von lauten Massenzusammenkünften und herumhopsenden Straßenumzügen lohnt es nicht, überhaupt über den Karneval zu sprechen. Als solcher bleibt er ihm eh fern. Die anderen aber werden wieder hingehen: „You can't stop carnival!" wie die Info-Broschüre sagt.

Gertrude Schildbach

Straßenfest: 17. Mai bis 20. Mai auf dem Blücherplatz

Umzug: 19. Mai, 12.30 Uhr bis 22 Uhr, vom Hermannplatz/ Ecke Urbanstraße über Hasenheide, Gneisenaustraße, Yorckstraße bis zu den Yorckbrücken

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