Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Musik für die Massen

Deutscher Popfrühling

„Der beste Augenblick in deinem Leben ist nicht morgen, sondern gerade eben" ­ ja, genau, nur warum vergißt man es immer so schnell wieder? Bernadette La Hengst jedenfalls sorgt mit Der beste Augenblick ... (Trikont) für diese kleine Erkenntnisauffrischung ­ unbeschwert und mit der Extraportion Inhalt. Deutscher Pop, wie wir ihn uns immer schon gewünscht haben: „keine Mittelmäßigkeit, keine Angst vor morgen, keine langweilige Scheiße ­ und vor allem kein Bedauern, daß es früher besser war". Äußerlich klingt das nach Teenagerweisheiten, aber innen schreit alles Hurra! Wenn es schon kein richtiges Leben im falschen gibt, dann aber, bitte schön, wollen wir wenigstens den korrekten Soundtrack zu diesem dialektischen Schlamassel hören. Bernadette La Hengst liefert ihn mit Gitarrenpop, und lotet nebenbei ­ allem Pop-Appeal zum Trotz ­ auch noch die verbliebenen Untiefen aus. Selten hat sich das Unbehagen am persönlichen und politischen Stillstand besser angehört.

Wer könnte da treffsicher anknüpfen als Mr. White-Super-Soul und der Oberzeremonienmeister des Glammer-Bigbeat-Pop: Rocko Schamoni. Mit majestätischer Erhabenheit übt er sich in der Kunst der Stilsicherheit, ohne sich und das ganze Drumherum allzu ernst zu nehmen. Daß das nicht immer eine leichte Übung ist, daran läßt das letzte und definitiv unterirdischste Stück auf Der Schwere Duft der Anarchie (Virgin) keinen Zweifel. Vor raffiniertem Discobeat wird das hingenuschelte „Supersticious Ladybaby" zum Seiltanz über dem Höllenschlund namens „Klamauk". Deswegen wirkt dann aber auch das Politische jenseits des Abgrunds nie blutleer. Und auf die Dreistigkeit, unser kapitalistisches Selbstverständniss mit „Geld ist eine Droge" zu diffamieren, kommt nur einer, der das System komplett durchdrungen hat – eben einer wie Rocko Schamoni. Tatkräftige Unterstützung im Background-Chor leistet übrigens Bernadette La Hengst.

Mit dem programmatischen Titel Revolution (Weserlabel) tritt die Berliner Band Killerkouche an. Und in der Tat, hier kommt die geballte politische Analyse der letzten 30 Jahre im Eins-A-Poprock-Songformat daher. Zunächst klingt alles nach eingängigen, aber harmlosen Teenager-Lovesongs. Die entpuppen sich aber beim Rückwärtsabspielen als wahre Revolutionshits. Seit den Scherben ist Gesellschaftskritik nicht mehr so griffig formuliert worden. Folgerichtig sind sie mit „Verliebt in London" direkt in die Radio-Fritz-Rotation geraten. Nur durch das Intervenieren des brandenburgischen Innenministers Schönbohm, der den Song auf den Index setzen ließ, entging Deutschland knapp der angekündigten Revolution. Wer also auf unbeschwerten Gitarrenrock für den Sommer steht, sollte um Killerkouche einen weiten Bogen machen. Killerkouche zeigen den Sportfreunden Stiller, Echt und allen anderen alternativen Heimatbands, wo der politische Hammer hängt. Viva Berlin! Viva Killerkouche! Viva la Revolution!

Marcus Peter

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  Ausgabe 05 - 2002