Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Die neue Mitte liegt links oben (V)

Vom Bauhaus lernen im Afrikanischen Viertel

Wer vom Berlin zwischen den beiden bisherigen Weltkriegen redet, spricht meist von den „Goldenen Zwanzigern". Im Wedding waren zu dieser Zeit höchstens die Nasen der Industriekapitäne und Hauseigentümer golden, ansonsten war der Wedding rot. Allerdings begann man bereits damals damit, das zu ändern und den Bezirk aufzuwerten. Im Afrikanischen Viertel zwischen Müllerstraße und Volkspark Rehberge baute man seinerzeit das Vorbild für den späteren sozialdemokratisch geprägten Wedding des sozialen Wohnungsbaus. 1930 schwärmt Fritz Rück in seinem Buch Der Wedding in Wort und Bild, dort sei im davorliegenden Jahrzehnt ein neuer Stadtteil entstanden, „und da in diesen Neubauwohnungen die Miete entsprechend höher ist, ändert sich hier auch die Zusammensetzung der Bevölkerung des Weddings", die Fabrikarbeiter nähmen ab, Angestellte und Beamte zu. Überall verstreut müssen sich damals noch Laubenkolonien befunden haben, aber „jedes Jahr verschwindet eine von ihnen, und kurze Zeit nach der Räumung steht ein neuer, mächtiger Häuserblock an ihrer Stelle."

Wenn man sich heute von der Seestraße kommend ins Viertel vorwagt, trifft man zunächst die typischen Berliner Mietskasernen an. Hier findet auch ein großer Teil des Kiezlebens statt, denn es gibt Läden im Erdgeschoß, was im Rest des Afrikanischen Viertels eher selten vorkommt. Im „Lüderitz-Eck" in der Kameruner Straße, Ecke Lüderitzstraße ist es genau so, wie man sich den Wedding vorstellt. Das Lokal ist ein Treffpunkt für in Ehren ergraute, langhaarige Hertha-Fans. Es geht familiär zu, aber als Fremder wird man schnell adoptiert. Ein paar Meter weiter, im „Leone-House" in der Togostraße, versammeln sich die Angehörigen der Sierra Leonischen Community in Berlin. Ansonsten ist das Afrikanische Viertel aber auffallend bieder und deutsch. Das liegt unter anderem daran, daß viele der Häuser von Genossenschaften erbaut worden sind, was die Bevölkerungsstruktur, wie sie zu Beginn war, mehr oder weniger konserviert hat. Es hat sich eine geschlossene Gesellschaft einer mehrheitlich sozialdemokratischen Arbeiteraristokratie herausgebildet, die ärmeren Menschen den Zuzug verwehrt.

Dabei fühlte man sich zu Beginn den sozialreformerischen Ideen des Bauhauses verpflichtet. Architektonisch macht sich das natürlich auch bemerkbar. Hervorzuheben sind insbesondere die heute unter Denkmalschutz stehenden, sogenannten Wohnkuben Mies van der Rohes in der Afrikanischen Straße 15-41. Die schlichten Häuser galten als Pionierbauten für „Neues Wohnen". Dahinter versteckt befindet sich etwas überraschend eine kleine Einfamilienhaussiedlung – idyllisch gelegen, direkt im Volkspark Rehberge. Vermutlich hat sie sich aus einer Kolonie von Laubenpiepern entwickelt, die ohnehin schon Dauerwohner waren. Vor der Nazizeit gab es in Berlin etwa 35000 Familien, die sich dauerhaft in ihren Kleingärten eingerichtet hatten, danach dürften es sogar noch mehr gewesen sein. Entgegen dem heute verbreiteten Klischee vom Kleingärtner als Spießer par excellence, galten die Laubenkolonien damals eher als Sündenpfuhl. Ob es allerdings auch in der 1939 gegründeten „Kolonie Togo", die sich heute noch mitten im Häuserblock zwischen Togostraße und Müllerstraße auf der Höhe des U-Bahnhofs Rehberge befindet, so hoch herging, muß bezweifelt werden. Heute zumindest erinnert sie eher an einen Friedhof als an ein Vergnügungslokal. An einen etwas laut geratenen allerdings, denn ständig donnern die Flugzeuge des nahegelegenen Flughafens Tegel über den Kiez hinweg. Die Zustimmung zum neuen Großflughafen in Schönefeld ist hier deshalb auch höher als anderswo.

Wie in den meisten Vierteln der Moderne hat man auch hier versäumt, ge-nügend Ladenlokale vorzusehen. Das gilt besonders für die „Friedrich-Ebert-Siedlung" ganz im Nordwesten des Afrikanischen Viertels. Dort hat man nach-träglich einige Zeitungskioske aufgestellt, vor denen immer ein paar Leute herumstehen, ihre Molle trinken und sich unterhalten. Durch die Nähe der Müllerstraße wirkt der Kiez aber nirgends völlig tot. So weit im Norden finden sich auf der Weddinger Magistrale kaum noch Ladenketten. Dafür gibt es viele Kneipen, Fachgeschäfte für Schirme und Regenbekleidung oder für Braut- moden, vor allem aber die 1950 erbaute „Müller-Halle". In der Markthalle herrscht ein ständiges Gewusel und im schroffen Gegensatz zu den neumodischen Konsumtempeln, die überall aus dem Boden schießen, erfüllt die Halle auch eine soziale Funktion.

Dirk Rudolph

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  Ausgabe 05 - 2002