Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Müßig auf einem Sprungbrett sitzen

Die Reform im Sozialamt stellt immerhin die Sprache auf den Kopf

Das Sozialamt Treptow liegt an der Rudower Chaussee. Vor dem leicht abgeblätterten Plattenbau sitzen vier beleibte Türkinnen in der Sonne und tratschen. Drinnen riecht es nach PVC aus DDR-Zeiten, die Gänge sind in lindgrüner Ölfarbe gestrichen, an den Wänden hängen Tierposter. Auf den Fluren stehen oder sitzen Menschen. „Stützeempfänger", wie die Zeitungen sie allenthalben nennen, wenn ein Synonym für „Sozialhilfeempfänger" gesucht wird. Doch neuerdings heißen die Wartenden „Kunden". Und sie melden sich nicht mehr schlicht bei ihrem Sachbearbeiter, sondern sie sprechen bei ihrem „Fallmanager" vor, der sie individuell betreut und mit ihnen gemeinsam einen persönlichen Hilfeplan ausarbeiten wird. So jedenfalls nennt es Sozialamtsleiter Meißner. Der Bezirk Treptow-Köpenick hat nämlich seine Arbeitsvermittlung modernisiert. Management statt Verwaltung, höhere Vermittlungsquoten, Leistungsbereitschaft statt Ruhestellung. Kombiniert wird die Reform mit einem Programm namens Sprungbrett. Sprungbrett soll jungen, arbeitsfähigen Menschen eine Chance geben. Wer die 25 noch nicht überschritten hat, bekommt jeden Tag ein neues Arbeitsangebot. Wer nicht hingeht, springt über die Klinge, bekommt kein Geld mehr. „Fördern und Fordern" nennt das der Senat, der große Hoffnung in das Modell setzt. Nicht zuletzt der Haushaltsmisere wegen. Bis zum Jahr 2003 soll eine viertel Million Euro an der Sozialhilfe zu gespart werden. Entsprechend viele „Stützeempfänger" müssen die Flure der Behörde verlassen. Bereits vier Sozialämter fördern und fordern ­ Weißensee, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg. Ab Juni kommt noch der Bezirk Mitte hinzu. Der Sprung in die Zukunft zielt auf den ersten Arbeitsmarkt. Dazu soll aktiviert und motiviert ­ dem Müßigen auf die Sprünge geholfen werden.

Im Treptower Amt ist denn auch vor dem Warteraum, ein kleines Schild angebracht, auf dem steht: „Das hat Spaß gemacht". Die Leute auf den Plastiksitzen lesen in der Zeitung, betrachten das PVC oder unterhalten sich leise. Doch wo sind die jungen Menschen mit ihren Jobangeboten? Vielleicht trifft man sie ja am Ausgang, wenn sie vom Fallmanager kommen und hoch motiviert ­ auf dem Weg zum ersten Arbeitsplatz ­ die Schultern bereits ein gutes Stück höher tragen.

Doch der erste, der die lindgrünen Flure verläßt, ein etwa 20jähriger, verneint: „Sprungbrett kenne ich nicht. Ich komme gerade aus dem Knast. Demnächst soll ich ´gemeinnützige Arbeit' machen, Gartenarbeiten vielleicht. Aber ein Sprungbrett? Nein." Er bindet seinen Hund vom Baum los und winkt freundlich. Eine Weile lang passiert nichts. Am Treppengeländer lehnt ein Kahlrasierter, genehmigt sich ein Bier und betrachtet die Wolken. Der nächste, der die Treppen herunterkommt, trägt einen Kunststoffüberzieher und moderne Turnschuhe. Er geht langsam und bedächtig. „Ich weiß nicht, was ein Fallmanager ist", erklärt er ernst, „mir für meinen Teil wurde gerade die Sozialhilfe gestrichen, weil angeblich meine Freundin finanziell für mich verantwortlich ist. Wenn ich will, kann ich sie nun verklagen." Er geht davon.

Nach ihm kommt ein junger Araber heraus, die Hände in den Hosentaschen. „Sprungbrett? Eine Maßnahme??" Sein Blick klärt sich auf: „Sie meinen ­ mein Nachname? Radwan!" Radwan schüttelt den Kopf und setzt seinen Weg fort. Ein Pärchen nach ihm, beide 19 Jahre, will auch keine Fallmanager kennen. „Nein, nein, alles in Ordnung da drinnen", versichern sie einhellig. Die beiden setzen sich auf das Steinmäuerchen, zu den vier beleibten Türkinnen, die immer noch hier lagern und sich offensichtlich Witze erzählen. Sie haben eine Thermoskanne dabei. Vielleicht warten sie auf ihre Männer, die ihrerseits gerade oben im Warteraum mit dem Schild „Das hat Spaß gemacht" sitzen.

Der nächste, der die Treppen herunterkommt, hält einen kleinen Packen Papier in der Hand. „Sprungbrett? Meinen Sie das?" fragt er und wedelt mit den Blättern. „Morgen stelle ich mich wieder mal vor." Vier Maßnahmen hat er schon hinter sich. „Zweimal Berufsbildungserweiterung, einmal eine Arbeitsmaßnahme mit Qualifikation und einmal Sprungbrett. Und jetzt wieder: Sprungbrett." 1999 hat Stephan den Hauptschulabschluß gemacht, seitdem ist er beim Sozi. „Finde ich ja gut, daß sie Jugendlichen eine Arbeit geben wollen", meint er, zündet sich eine an und erzählt von seiner letzten Maßnahme – der „mit Qualifikation". Um die hatte er sich nämlich selbst gekümmert. „Wissen Sie, was wir da gemacht haben? Wir haben zugeschaut, wie einer Rigipsplatten verlegt hat. Das war dann alles. Echt!" Diese Maßnahme hat er schließlich wegen Langeweile gekündigt. Eigentlich hätte er nun gar keinen Anspruch auf Leistungen mehr gehabt und mußte erst mal Überzeugungsarbeit leisten, bevor der Sachbearbeiter mit einer neuen Maßnahme herausrückte. „Ist aber nicht mehr für lange", versichert er. Denn er hat jetzt eine richtige Lehrstelle in Aussicht. Hat er sich selbst drum gekümmert. Stephan rafft seine Zettel zusammen und springt auf. Er muß weiter.

Auf den Steinplatten vor der Treppe schlendert ein ganz junger Typ auf und ab, der braungebrannt ist und eine so blütenweiße Windjacke trägt, daß man ihn anstarren muß. Man kann ihn sich gut auf einer Strandpromenade vorstellen, neben ihm eine Schönheit im Sommerkleid. Vielleicht stellt er sich gerade dasselbe vor. Die vier Türkinnen wurden immer noch nicht abgeholt. Doch sie scheinen nicht ungeduldig zu werden. Warum auch nicht in Treptow in der Rudower Chausse auf einem Steinmäuerchen sitzen? Schließlich scheint die Sonne. „Wie bitte? Fall managen?" Leider haben die Frauen die gestellte Frage gar nicht erst verstanden.

Tina Veihelmann

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