Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Schönste Badesaison

Letzte Woche hat die Badesaison begonnen. Bisher ist es kühl, meist wolkig, mitunter regnerisch. Die Aussichten: ebenso. Nach Himmelfahrt erwarten uns noch die Eisheiligen ­ sollte um diese Zeit das Wetter schlecht sein, wird es den ganzen Sommer über regnen, sagt eine Bauernregel.

Wenn Sie dieser Tage anbaden gehen wollen, sparen Sie sich den Spott Ihrer Freunde und erzählen Sie, Sie gingen ins Hallenbad. Bereiten Sie stattdessen eine Thermoskanne mit heißem Grog vor und begeben Sie sich in eines der letzten verbleibenden Sommerbäder Berlins. Zum Beispiel ins Prinzenbad.

Bereits an der Kasse werden Sie die erste angenehme Überraschung erleben. Kein Gedränge, kein Geschubse, keine schwitzenden Körper vor Ihnen, niemand, der Ihnen mit Wucht seine Adidastasche ins Gesicht rammt. Der Kassierer bedient Sie freundlich ­ Sie passieren die Drehtür und betreten die menschenleeren Terrassen. Ein Bademeister bewacht eigens für Sie das azurblaue Sportbecken. Auf einer Tafel steht mit Kreide: Außentemperatur 10 Grad. Ein leichter Nieselregen erfrischt Ihre Haut.

Es empfiehlt sich, bevor Sie sich halb nackt der Witterung aussetzen, einen warmen Imbiß zu sich zunehmen. Die Briten, die sich stets leicht bekleidet jeglicher Witterung aussetzen, bevorzugen für solche Gelegenheiten Fish and Chips. Am Freibadkiosk bekommt man zwar keinen Fisch, dafür aber sehr überzeugende Pommes Frites. Tatsächlich sitzen einige Gäste um die zugeklappten Langneseschirme herum. Ein Mann im Jackett, der nicht aussieht, als sei er zum Baden gekommen, ein Pärchen ­ sie im Plüschbademantel, pink, getigert, er im Anorak, eine einzelne Dame im Regenmantel. Sie trinken Heißgetränke und lesen in der Zeitung.

Nun rasch in die Kabine, noch einen Schluck Grog und Mut zum Bikini ­ und dann auf ins Wasser. Hinter dem Sportbecken ­ das stets eiskalt ist und selbst im Hochsommer nur von abgehärteten Extremsportlern frequentiert wird ­ und hinter dem Planschbecken mit der Rutsche liegt das Becken, das im Prinzenbad am liebsten und am intensivsten genutzt wird: Das Becken mit der Schwimmer- und der Nichtschwimmerzone. In der heißen Jahreszeit ist es die reine Hölle. Mütter fischen da nach ihren versunkenen Kleinkindern, kleine, miese Gören proben den Aufstand gegen den Bademeister und springen „die Bombe" vom Beckenrand ­ natürlich landen sie auf Ihrem Rücken, lachen aber rotzfrech und schwimmen davon ­ und braungebrannte Männer in ihren besten Jahren tauchen mit ihren Chlorbrillen herum.

Im Frühsommer bei Nieselregen ist das ganz anders. Außer Ihnen ist noch eine Hand voll anderer Badegäste im Wasser, das freundlicherweise auf 22 Grad erwärmt wurde. Es sind höfliche Menschen, sie schwimmen ruhig ihre Bahnen. Vielleicht ein freundliches Wort, wenn man zugleich am Beckenrand anstößt. Ah, Sie auch hier, bei Nieselregen. Ein gute Idee, nicht zu vielen Bekannten weitersagen. Ihre Schwimmbeutel haben sie an der Stirnseite des Beckens unter den Bäumen deponiert, manche haben auch aus Plastikplanen einen kleinen Regenschutz gebastelt.

Wenn Sie schließlich, angenehm erfrischt, das Becken verlassen, begeben Sie sich in die Reinigungsduschen. Kosten Sie die vollen zehn Minuten aus, die sie drinnen bleiben dürfen, und erzeugen Sie ein Dampfbad. Nehmen Sie noch einen tiefen Schluck heißen Grog und ziehen sich anschließend warm an.

Ein guter Tip: Falls es zu den Eisheiligen tatsächlich schlechtes Wetter geben sollte ­ denken Sie mal drüber nach, ob Sie sich nicht eine Dauerkarte leisten wollen.

Tina Veihelmann

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