Ausgabe 04 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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An der Asphaltfront ist jeder allein

Lucas Cejpeks und Thomas Reinagls Annäherung an den „ruhenden Verkehr"

Autos stehen meistens im Weg herum. Man hat sich zu sehr daran gewöhnt, daß unsere Städte flächendeckend von Autos zugestellt sind, um überhaupt noch ein Auge zu haben für das Skandalon dieser raumgreifenden Besitznahme von öffentlichem Raum durch den Individualverkehr. Wie weitgehend die Stadtbilder von abgestelltem Blech geprägt und verunziert werden, fällt einem in der Regel erst an Orten auf, an denen der Verkehr vernünftiger geregelt ist und Autos fehlen, in Zermatt etwa oder in Venedig: Daß einem die Boote dort im Weg stünden, ja, überhaupt irgendwie in die Quere kommen würden, kann man nicht behaupten. Solange aber sinnvolle Verkehrskonzepte ­ etwa ein generelles Auto-Fahrverbot innerhalb des S-Bahnrings ­ nicht durchsetzbar sind, wird man nolens volens mit dem Autoverkehr konfrontiert, sobald man auch nur das Haus verläßt (was sich dann ja meistens auch noch aus anderen Gründen als fataler Fehler erweist).

Autos stehen meistens im Weg herum. Das ist in Berlin nicht anders als in Wien; wenn auch die dichtere Bebauung im Zentrum der österreichischen Hauptstadt das Problem noch gravierender erscheinen lassen mag. Glaubt man dem Wiener Autor Lucas Cejpek, dann ist ein Automobil im Schnitt sogar 96 Prozent seiner Lebenszeit zwischen Produktion und Verschrottung abgestellt, sozusagen als brachliegende Potentialität: „EIN GEPARKTES AUTO ist mehr als ein Auto: das Auto als reine Möglichkeit." Daran ließen sich nun Betrachtungen über die Idiotie und Ineffizienz des motorisierten Individualverkehrs knüpfen (Fahrräder stehen ja nun nie so lange rum, die werden gestohlen); Lucas Cejpek und der Fotograf Thomas Reinagl jedoch haben ausgehend vom Phänomen des geparkten Autos einen „Fotoroman" entwickelt. Das Stichwort Roman mag in die Irre führen; der schmale Band, erschienen in der immer wieder für Entdeckungen guten Wiener Wohnzimmer-Edition, in dem sich jeweils eine Text- und eine Bildseite gegenüberstehen, enthält bestenfalls den Nucleus eines Romans – wenn nicht sogar für mehrere Romane. Der Text hebt an mit lose-assoziativen Betrachtungen über den Autoverkehr („IMMER WENIGER Österreicher können sich Drittautos leisten!"), aber schon auf der ersten Seite fallen die Stichworte „Geheimnisse" und „konspirative Treffen" – Versatzstücke aus Gangster- und Spionagestories. Die Anonymität der Parkplätze, das Nichtssagende der überall gleichförmig herumstehenden Autos, setzt die Imagination in Gang. „An der Asphaltfront ist jeder allein. Hier gilt der Mißtrauensgrundsatz: Sei auf alles gefaßt!" schreibt Cejpek. Auch auf Thomas Reinagls Fotoseiten führt das Unscheinbare in die Verunsicherung: Auf ihnen sind je zwei Bilder einander konfrontiert, die sich oft nur geringfügig durch Schärfe oder den Bildausschnitt unterscheiden: Straßenfronten und Parkplätze. Wenn man genau hinschaut, stellt man aber z.B. fest, daß ein Auto im Hintergrund zwischen den beiden Aufnahmen weggefahren ist. Bloß, was hat das zu bedeuten? Oder ist es Bildmanipulation? Jedenfalls ein raffiniertes Spiel, auf der Bild- wie auf der Textebene. Und man möchte auch zustimmen, wenn es, die Imagination immer weitertreibend, heißt: „Es ist schön, ein Auto in die Luft gehen zu sehen. EXPLOSION. Ein sich in alle Richtungen gleichzeitig bewegendes Auto."

Florian Neuner

Thomas Reinagl und Lucas Cejpek: In geparkten Autos. Fotoroman. Das fröhliche Wohnzimmer – Edition, Wien 1997. 6,53 Euro

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