Ausgabe 04 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Unüberwindbare Schlösser

Amerikanische Kleinfamilie im Panikraum

Panic Room heißt der neue Film von David Fincher, der mit seinen letzten Regiearbeiten (Sieben, Fight Club) zwar nicht das Recht erworben hat, zu den innovativsten derzeitigen Regisseuren gezählt zu werden, wie uns die Verleihfirma weismachen will ­ der aber immerhin durch eine minimale Abweichung von den vorherrschenden Hollywoodnormen für Unterhaltung sorgte, ohne die Aufmerksamkeit und Denkfähigkeit der Zuschauer vollständig zu beleidigen. Panic Room hat diesbezüglich nichts zu bieten. Es ist ein klassischer Thriller, und die Handlung kann in wenigen Worten zusammengefaßt werden: Eine Frau und ihre jugendliche Tochter kämpfen gegen drei mehr oder weniger böse Einbrecher um Besitz und Überleben.

Die Presseinfo verspricht uns Gesellschaftskritik und zählt Panikräume zu den Schattenseiten der Zivilisation. Ein Panikraum ist ein hermetisches Zimmer im eigenen Haus, das dem Besitzer durch ein autarkes Versorgungssystem Zuflucht vor gefährlichen Menschen, Naturkatastrophen oder anderen Bedrohungen bietet. Eine Videoüberwachung lindert die Klaustrophobie und ermöglicht dem Eigentümer zuzusehen, wie die Wohnungseinrichtung zertrümmert wird. Aus der Pressebroschüre erfahren wir, daß die Nachfrage nach solchen Räumen gestiegen ist, was nicht auf eine zunehmende Verbrechensrate, sondern auf das stetig anwachsende subjektive Sicherheitsbedürfnis oder schlicht Paranoia zurückzuführen ist. Finchers Film straft diese Einschätzung von Sicherheitsexperten Lügen. Schon in der ersten Nacht im neuen Heim müssen Frau und Tochter vor einer bösartigen Variante der Olsenbande in den vom Vormieter installierten Panikraum fliehen. Zugespitzt wird die Lage dadurch, daß die erhoffte Beute ausgerechnet in diesem Raum deponiert ist. Die Idee, den Einbrechern die Millionen des Vormieters auszuliefern, kommt gar nicht erst auf. Offenbar stand zu befürchten, daß der Duchschnittsamerikaner sich weigern könnte, sich mit einer Frau zu identifizieren, die aus reiner Geldgier absichtsvoll das Leben ihrer Tochter aufs Spiel setzt. So nimmt die Handlung ihren vorhersehbaren Lauf. Gemäß der Ethik des US-amerikanischen Mainstreamfilms verteidigen die unbescholtenen Bürger erfolgreich ihre heile Welt bis die krankhaft Bösen getötet und die Kriminellen mit moralischen Restbeständen verhaftet sind. Der Panikraum hat seine Notwendigkeit erwiesen. Es wird dabei anschaulich illustriert, was Christoph Neumann in einem Artikel beschreibt, der im lesenswerten Buch Vabanque (hg. von Klaus Schönberger, Verlag Libertäre Assoziation/Verlag der Buchläden Schwarze Risse) über die Theorie und Praxis des Bankraubs abgedruckt ist: Die perfektionierten Sicherheitssysteme schützen das Geld, aber gefährden Menschen. Wenn Schlösser sich nicht gewaltsam öffnen lassen, werden Menschen gezwungen, sie zu öffnen.

Katrin Scharnweber

„Panic Room", USA 2002, Regie: David Fincher, mit: Jodie Foster, Forest Whitaker u.a., Kinostart: 18. April

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  Ausgabe 04 - 2002