Ausgabe 04 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Du mußt dir eine eigene
Öffentlichkeit schaffen

Kunst & Politik (IV): Stephan Geene über politische Arbeit innerhalb und außerhalb des Kunstfeldes

Foto: Knut Hildebrandt

„Der soziale Raum, in dem eine Arbeit entsteht, ist genauso wichtig wie die Arbeit selbst. "

Stephan Geene ist Mitbegründer von b_books (Verlag und Laden) und arbeitet als Künstler und Theoretiker in verschiedenen Projekten zwischen bildender Kunst und Film, u.a. als Mitglied des „minimal club". 2001 ist eine Neuauflage seines Buches money aided ich-design erschienen.

Ich habe den Eindruck, daß in der bildenden Kunst gegenwärtig unglaublich viele Leute mit explizit politischen Ansprüchen auftreten und sich teilweise sogar mit den entlegensten Problemen befassen, daß das Politische gegenwärtig Konjunktur hat, diese Inhalte im Kunstbetrieb aber gleichzeitig doch vollständig neutralisiert werden.

Ich sehe das etwas anders. Ich denke, daß im Kunstbetrieb gar nicht so viel Politik vorkommt. Das täuscht ein bißchen. Es gibt zwar viele Arbeiten, die soziale Fragen thematisieren. Ich sehe aber sehr wenig im eigentlichen Sinne politische Arbeit. Rund um diesen Betrieb gibt es zwar ein Feld von Leuten, die Vorträge oder Filme, Projekte sozialpolitischer Art machen und die auch irgendwie noch in Kunstzeitschriften auftauchen. Diese Leute benutzen dann das Umfeld des Kunstbetriebs, um im klassischen Sinne politisch-kulturelle Arbeit zu machen. Das kann auch in die Richtung gehen, daß man nach Porto Alegre fährt und mit der Anti-Globalisierungsbewegung eine Verbindung eingeht. Aber das spielt sich eben am Rand ab und verändert den Kunstbetrieb nicht. Der kann trotzdem gut weiterbestehen und wird dadurch überhaupt nicht transformiert. Das ist auch mein Résumé aus früheren Projekten. Ich dachte früher: Es ist sehr wohl möglich, den Kunstbetrieb so stark herauszufordern, daß er sich andere Strukturen geben muß, daß klar wird, daß man Kunstvereine und Museen nicht so herrschaftlich-patriarchal weiterführen kann. Es gibt zwar ein paar Orte, wo es mal eine Zeit lang anders war, aber das hat überhaupt nicht um sich gegriffen.

Was wäre ein Beispiel für so einen Ort?

Ich finde, daß die Shedhalle in Zürich eine Zeit lang anders war. Da hat eine Gruppe von Frauen gearbeitet. Es wurden zwar auch nicht alle Herrschaftsformen abgebaut, aber es war sehr, sehr viel durchlässiger. Das war nicht ein Ort, wo es einfach einen Chef gab, der alles entschieden hat.

Du würdest sagen, daß Kunst, die im Betrieb réussiert und die politische Ansprüche vor sich herträgt, keine ernstzunehmende politische Arbeit ist?

Das müßte man genauer an Beispielen besprechen. Ich kenne jedenfalls nicht viele Sachen, die ich besonders ernst nehme und die in diesem Bereich réussieren. Ich finde es auch sehr schwierig, beides gleichzeitig machen zu wollen, einen Karriereweg in dieses rückschrittliche, traditionelle System und ernsthafte politische Arbeit, die mehr ist als nur ein Slogan. Das kann ich mir kaum vorstellen, das kenne ich auch nicht. Wenn man sieht, wie in diesem System Vermittlung passiert, wie Wertsteigerung stattfindet, wie Werke und Biographien geschaffen werden ...

Um aber auf ein konkretes Beispiel zu kommen: auf die Ausstellung, die Catherine David vor zwei Jahren in den KunstWerken inszeniert hat und die ja doch zeitgemäße politische Kunst zeigen wollte ...

Abgesehen davon, daß ich die KunstWerke ablehne ... ich finde, Catherine David ist irgendwo ein Grenzfall, auch mit ihrer documenta, und sie setzt sich ja auch gar nicht durch mit ihrer sehr inhaltlichen Kunstauffassung. Da kommt etwas in Gang, was ich als NGO-Kulturpolitik betrachten würde, eine Verbindung von Leuten aus ganz unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen, die so eine komische, weltumspannende Kunstszene bilden. Dazu trägt sie schon etwas bei. Als Veranstaltung finde ich das aber doch ziemlich uninteressant, auch politisch uninteressant. Man geht dorthin, kann sich das angucken, bekommt sozusagen eine bestimmte Art von kulturellem Niveau verordnet, und das war´s dann auch. Ich finde, das ist ein toter Veranstaltungstyp, den David bedient. Aber immerhin ein Ansatz, die westliche Hegemonie im Kunstbetrieb zu brechen, und das ist ja schon etwas.

Ich würde diese Art von Veranstaltungen darüber kritisieren, daß sie über Berühmtheiten und Geld funktionieren ... daß sie durch und durch hierarchisch strukturiert sind. Ich glaube nicht, daß es hierarchiefreie Bereiche gibt. Es ist aber doch ein Unterschied, ob man die Sache total auf Hierarchien aufbaut oder wenigstens den Versuch macht, anders vorzugehen.

Würdest du dann auch heute noch eine Perspektive in der Institutionskritik sehen? Man könnte ja auch einwenden, das sei alles schon in den sechziger und siebziger Jahren durchbuchstabiert worden und längst in den Betrieb integriert.

Die Idee von b_books ist ja, sich nicht auf Institutionen zu beziehen, nicht in Institutionen zu arbeiten, eine eigene Öffentlichkeit zu schaffen.

Viele Künstler und Künstlerinnen, die in den neunziger Jahren Institutionskritik gemacht haben, sind im Endeffekt völlig isoliert geblieben und nur noch damit beschäftigt, ihren Ansatz weiterzuentwickeln. Theoretisch wäre es denkbar, das anders zu machen, und theoretisch wäre es auch nach wie vor denkbar, ganz direkt einzugreifen, eine Institution zu besetzen und zu gucken, was passiert. Gerade weil die doch große Schwierigkeiten hätten, einfach die Bullen zu rufen. Aus vielen Gründen macht das aber im Moment niemand.

Andererseits stimmt es ja auch nicht, daß die Leute, die in einer Institution arbeiten, notwendig andere Leute sind als die, die vielleicht in Genua auf der Straße sind. Es ist überhaupt nicht ausgeschlossen, daß jemand, der eine Kunstsammlung macht, auch auf die Straße geht und politisch agiert.

Das läuft auf eine Trennung von Kunst und politischem Engagement hinaus.

Ich habe das Gefühl, ich bin in eine Situation geraten, gerade auch hier in Berlin, in der sich diese strikte Trennung, auch in der autonomen Szene etwa, sowieso aufgelöst hat. Diese starke Entgegensetzung von Politik und bürgerlicher Kunst als Freizeitbeschäftigung, die ich kannte, gibt es so nicht mehr. Jetzt ist es möglich, und das haben z.B. die „Innenstadt-Aktionstage" gezeigt, die unterschiedlichsten Ansätze zusammenzuführen. Man kann eigentlich sogar mehr machen als noch vor zehn Jahren – auch wenn man ernüchterter mit dem umgeht, was man jetzt machen kann. Jedenfalls gibt es jetzt eine Zeitung wie die Jungle World, und es gibt die Anti-Globalisierungsbewegung, die eine bessere Perspektive schafft als die vor '89. Jetzt muß nicht mehr alles auf diesen Systemkonflikt zwischen real existierendem Sozialismus und Kapitalismus abgebildet werden. Man kann heute in gewisser Weise besser agieren, auch wenn ich die Grenzen eher nüchtern sehe.

Ist denn die Anti-Globalisierungsbewegung etwas, wozu Künstler speziell etwas beitragen können ­ abgesehen davon, daß sie sich dort genauso anschließen können wie Ärzte oder Bestattungsunternehmer?

Ich würde es anders ausdrücken: Die Art, wie diese Bewegung strukturiert und organisiert ist, wie politische Meinungsbildung stattfindet, hat viel mit Dingen zu tun, die im Kunstbereich entwickelt worden sind. Anders als politische Bewegungen der siebziger oder achtziger Jahre definiert man sich nicht mehr über Konsens und Abgrenzung und ganz strikte Inhalte, über Mitgliedschaft in einem elitären Zirkel, sondern jenseits davon. Und nicht, weil die das bei der Kunst abgekupfert hätten oder weil die Künstler so hellsichtig waren. Das hat zu tun mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen. Dazu kommt, daß es für KünstlerInnen eine biographische Grundentscheidung gibt, nicht im herkömmlichen Sinne berufstätig zu sein, die viel mit den heutigen Veränderungen in vielen Berufsfeldern zu tun hat. Daraus ergeben sich für die, die man früher mal Künstler genannt hat, viele gesellschaftlich interessante Aktivitäten.

Wie weit muß sich eine heute relevante politische Kunst an avancierten formalen Standards orientieren? Wie weit können andererseits Zugeständnisse an eine bessere Faßlichkeit die Vermittlung politischer Inhalte befördern?

Ich denke, daß es nicht richtig ist, dieserart Tätigkeit als Inhalt und Vermittlung zu diskutieren. Eine Arbeit hört nicht damit auf, daß man einen Film hat oder einen Gegenstand, sondern hat sehr viel damit zu tun, wie darüber geredet wird, wie das vermittelt wird, in welchem Zusammenhang etwas entsteht. Wenn ich eine Arbeit in eine Öffentlichkeit gebe, die sehr weit weg ist von dort, wo ich mich sonst bewege, wenn es keine Verbindung gibt zwischen dem Kontext, wo etwas gemacht und dem, wo etwas rezipiert wird, dann wirkt sich das simplifizierend aus. Für politische Arbeit ist aber wichtig, daß diese Entfremdung nicht zu groß wird. Ich halte es für wichtig, daß die Leute, die etwas machen, mit ihren Beweggründen sichtbar bleiben, in ihrer Arbeit und in der Vermittlung. Der soziale Raum, in dem eine Arbeit entsteht, ist genauso wichtig wie die Arbeit selbst. Der Kontext muß mitbehandelt werden: Warum erscheint etwas in einem bestimmten Verlag? Wie kommt etwas in eine bestimmte Zeitung? Was sind das für komische Journalisten, die dazwischen stehen? Wer schreibt da eine bekloppte Presseerklärung? Das muß zum Teil der Sache gemacht werden.

Aber gibt es einen Weg, mit Dingen, die mehr oder weniger im Kunstfeld sich abspielen, eine andere Öffentlichkeit zu erreichen, als immer nur die gleiche, die bildungsbürgerlich aufgeklärt ist und alles schluckt?

Du mußt dir sowieso eine eigene Öffentlichkeit schaffen, ein Gefühl dafür. Sonst kannst du das gar nicht entwickeln. Das fängt ja auch schon im herkömmlichen Fall damit an, daß du ein Verhältnis zu deiner Verlegerin oder der Kritikerin herstellen mußt, die über deine Arbeit schreibt. Da gibt es dann unterschiedlich starke Verluste. Mir geht es darum, daß man solche Schritte bewußt selbst gestaltet. Es gibt im Moment durchaus ein Klima, in dem das möglich ist, ein anderes Verständnis von Öffentlichkeit und von politischer Arbeit. Die breiteren Diskussionen um Globalisierung, neue Kriege und Migration haben eine hohe Aufmerksamkeit. Da läßt sich durchaus eingreifen.

Interview: Florian Neuner

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