Ausgabe 04 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Das Empire schlägt zurück

Zwei Bücher zum Thema Globalisierung

Globalisierung ist vieles gleichzeitig: Wirtschaft und Politik, Ungerechtigkeit und Befreiung, Ideologie und Bewegung ­ vor allen Dingen aber ein komplexer und dezentraler Vorgang.

Zwei neue Bücher versuchen von je unterschiedlichen Seiten Ordnung
in das Prozeßhafte dieser Vorgänge zu bringen. Antonio Negri und Michael Hardt analysieren mit einer beeindrukkenden Vielschichtigkeit das Phänomen der Globalisierung, während Joseph Stiglitz eine Institutionskritik an der Weltbank, vor allem aber am Internationalen Währungsfond (IWF) übt.

Wer diese Freunde hat, braucht keine Feinde

Seit Anfang der neunziger Jahre wächst der Protest gegen die Politik von IWF und Weltbank. Diese supranationalen Hilfseinrichtungen sollten eigentlich Aufbauhilfe für in Not geratene Volkswirtschaften leisten. Doch anstelle von unabhängiger Krisenprävention wirken die Vorgaben, die an bewilligte Stützungskredite geknüpft werden, wie Vollstreckungsbescheide in einem Rambokapitalismus. Anhand vieler Beispiele und zweier großer Fallstudien ­ der Ostasien-Krise und des wirtschaftlichen Niedergangs Rußlands ­ analysiert Stiglitz in Die Schatten der Globalisierung das Scheitern der Wirtschaftspolitik des IWF, und das Urteil ist niederschmetternd: „Tatsächlich zeigt sich im Rückblick, daß die Politik des IWF die Abschwünge (der Ostasien-Krise 1997, Anm. M.P.) nicht nur verschlimmerte, sondern mit auslöste" ­ und das gilt nach Stiglitz nicht nur für diese Krise.

Die Grundidee, daß es in einer wirtschaftlich eng verknüpften Welt eines globalen und ausgleichenden Regula-tivs bedarf, ist laut Stiglitz inzwischen ziemlich auf den Hund gekommen: „Entscheidungen wurden auf der Grundlage einer sonderbaren Mixtur aus Ideologie und schlechter Ökonomie gefaßt, ein-es Dogmas, das manchmal nur hauch-dünn eigene Interessen zu verschleiern schien. Wenn Krisen auftraten, verordnete der IWF überholte, ungeeignete „Standardlösungen", ohne sich um die Menschen in den Ländern zu scheren. Nun ist diese Kritik an IWF und Weltbank nichts Neues, doch der Detailreichtum und die Richtung aus der sie kommt, sind durchaus neu: Joseph Stiglitz, Professor an mehreren US-Eliteuniversitäten, Berater der Clinton-Administration, war selbst Chefvolkswirt der Weltbank. Allerdings mußte er schon nach drei Jahren seinen Stuhl wieder räumen, denn Querdenker haben auf solchen Positionen wenig Freunde. 2001, also nur ein Jahr später, erhielt Stiglitz den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Neue Spielregeln

Das eigentliche Versagen des IWF verortet Stiglitz in den viel zu starken Partikularinteressen der mächtigen (G8-)Industriestaaten und einer beschränkten und veralteten Perspektive von Volkswirtschaft, in der beispielsweise so etwas wie Gesellschaftskontexte nicht vorkommen.

Unter dem Stichwort „Governance" fordert Stiglitz veränderte Spielregeln für die Funktionsweisen von IWF und Weltbank. Ein neues Stimmrecht, das den Einfluß der Finanzminister und Zentralbankchefs der führenden Industrienationen beschneidet, gehört seines Erachtens genauso dazu wie eine größere Transparenz der Prozesse innerhalb des IWF. Das klingt wie eine Kleinigkeit, kommt aber unter den real existierenden Machtverhältnissen einer Revolution gleich. Das Paradoxe an diesen undurchsichtigen und ungerechten Entscheidungsprozessen ist, daß unter den getroffenen Vereinbarungen nicht nur die direkt betroffenen Länder leiden, sondern die gesamte Weltwirtschaft. In einer zunehmend vernetzten Welt ist auch das wenig überraschend.

Stell die Verbindung her

So angemessen und hilfreich diese Kritik ist, bildet sie doch nur einen kleinen Ausschnitt der Globalisierungsprozesse ab. Da Stiglitz nichts anderes als eine Institutionskritik schreiben wollte, ist das zunächst auch unproblematisch. Allerdings entsteht, ob nun gewollt oder ungewollt, der Eindruck, daß sich diese ungeheuren weltweiten Entwicklungen durch das Drehen an ein paar Rädern auf der „Chefetage" wieder ins Lot bringen ließen.

Weit davon entfernt, mit einem ähnlichen Modell von Ursache und Wirkung an die Arbeit zu gehen, lassen Hardt und Negri in Empire zunächst die abendländische politische Philosophie Revue passieren, um dann auf dieser Basis eine Diagnose des postmodernen Kapitalismus zu erstellen. Diese unterschiedliche Betrachtungsweise der Pro-zesse und Mechanismen der Globalisierung ergibt sich zum einen aus dem theoretischen Hintergrund des Autorenduos ­ Hardt ist Professor für Literaturwissenschaft, während Negri an der Universität Padua politische Wissenschaften lehrt ­, als auch aus den sehr unterschiedlichen Biographien: Antonio Negri ist seit den siebziger Jahren einer der führenden Theoretiker der radikalen Linken in Italien. In einem umstrittenen Prozeß wurde ihm vorgeworfen, ein Drahtzieher der terroristischen Roten Brigaden zu sein. Nach einer Zeit des politschen Asyls in Frankreich verbüßt er nun als Freigänger seine mehrjährige Haftstrafe.

Hardt/Negri, das erinnert an Marx/ Engels und Deleuze/Guattari ­ und in der Tat, ohne gewisse Grundkenntnisse in marxistischer Kapitalkritik und poststrukturalistischer Theoriebildung ist dieses Buch fast nicht genießbar. Sich dieser Herausforderung zu stellen, ist allerdings ein mehr als lohnenswertes Vorhaben, denn das, was die beiden in Empire zusammenbringen und entwerfen, kann an den besten Stellen wahre Euphoriestürme auslösen.

Im Zentrum ihres Entwurfes steht der Begriff des Empire. Während Globalisierungsvorgänge auch heute meist noch in Begrifflichkeiten des Imperialismus beschrieben werden, beschreibt die Terminologie des „Empire" die heutigen Machtmechanismen wesentlich präziser. Das Empire ist „ein Herrschaftsapparat, der Schritt für Schritt den globalen Raum in seiner Gesamtheit aufnimmt. Das Empire arrangiert und organisiert hybride Identitäten, flexible Hierarchien und eine Vielzahl von Austauschverhältnissen durch abgestimmte Netzwerke des Kommandos." Nun liegt es nahe, die Führungsrolle innerhalb dieses Netzwerks den USA zuzuschreiben. Zwar nehmen die USA eine privilegierte Position ein, doch, wie Negri und Hardt ausführen, nicht mehr im Sinn eines imperialistischen Zentrums. Das ist für die Dominanz innerhalb eines Netzwerkes auch gar nicht nötig. Denn diese Dominanz setzt sich nicht durch Eroberung, sondern in Form einer neuen Weltordnung durch. Vorangetrieben wird die Integration in diese Ordnung durch Krisen und Konflikte.

Am deutlichsten läßt sich dieser Mechanismus an der veränderten Form der Kriege der letzten Jahre beschreiben. Als eine Allianz führt das Empire nur noch „gerechte Kriege" ­ wahlweise für Menschenrechte, gegen Terrorismus oder die Drogenmafia ­, und zum andern werden diese Kriege auf den Status einer Polizeiaktion reduziert, gestützt durch ein UN-Mandat oder zumindest mit einer humanitärer Begründung unterfüttert. Zwar haben Hardt und Negri Empire vor dem 11. September und dem Afghanistan-Krieg geschrieben, aber an diesem Konflikt lassen sich ihre Thesen bestätigen.

Eine Frage des Widerstands

Nun konstituiert sich das Empire nicht nur aus militärischen, sondern auch aus wirtschaftlichen und kulturellen Netzwerken, denn „die Herrschaft des Empire" bearbeitet, wie Hardt/Negri richtig feststellen, „alle Register der sozialen Ordnung, es dringt ein in die Tiefen der gesellschaftlichen Welt." Es stellt sich die Frage, wer oder was ein möglicher Gegenspieler dieses umfassenden Systems sein könnte? Hardt/Negri setzen auf die „Multitude" oder die „Menge", und die Menge sind wir alle, überall, jederzeit. Also: Immigranten, hier und auf der ganzen Welt, Hungernde wie Satte, Glückliche und Kranke, Arbeitslose sowie Sinnsuchende der New Economy. Die Menge ist also nicht nur Gegenspieler, sondern auch Produzent des Empire. Durch die ständige Bewegung der Menge – ob nun tobend oder im beharrlichen und stillen Vor-sich-Hinarbeiten, verändert sich auch gleichzeitig das Empire. Dabei kann jederzeit etwas im Netzwerk zerreißen und dadurch das Machtgefüge deformieren und verschieben. Das alles klingt esoterisch und wenig konkret. Bei einer überfüllten Veranstaltung in der Volksbühne gestand Michael Hardt, daß er selbst nicht wüßte, wie das Projekt Widerstand unter diesem mobilen und flexiblen Machtsystem auszusehen habe. Das ist ehrlich, zugleich aber auch enttäuschend, denn das Buch, das an vielen Stellen in seinem auffordernden Charakter einem Manifest gleicht, bleibt bei der Benennung möglicher Widerstandspraxen im Vagen. So ist der Leser aufgefordert, Widerstandsformen gegen „die neue Weltordnung" – wie auch der Untertitel des Buches lautet – selbst zu bewerten. Und da wir alle – so als „Menge" – mit Manifesten und Chefs, die immer schon wußten, wohin die Reise geht, mehr als genügend negative Erfahrungen gemacht haben, ist das Fehlen einer konkreten Handlungsanweisung durchaus zu verschmerzen. Dem von Hardt/Negri geforderten „Experimentieren der Menge" dürften weltweite Bewegungen und Bündnisse wie Attac oder das Weltsozialforum von Porto Alegre am nächsten kommen.

Vielleicht kann man sich den anstehenden Prozeß am ehesten im Sinne eines Zitats von Walter Benjamin vorstellen, das auch in Empire auftaucht: „Der neue Barbar sieht nichts Dauerndes. Aber eben darum sieht er überall Wege. Wo andere auf Mauern oder Gebirge stoßen, auch da sieht er einen Weg. Weil er überall Wege sieht, steht er selber immer am Kreuzweg. Kein Augenblick kann wissen, was der nächste bringt. Das Bestehende legt er in Trümmer, nicht um der Trümmer, sondern um des Weges willen, der sich durch sie hindurchzieht."

Marcus Peter

Joseph Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung. Siedler Verlag, Berlin 2002. 19,90 Euro

Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung.

Campus Verlag, Frankfurt am Main und New York 2002. 34,90 Euro

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