Ausgabe 04 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Den Fall managen

Im Juni wird in Mitte das Programm „Arbeit sofort" gestartet

Wer einen überzähligen Esser loswerden will, hat mehrere Möglichkeiten. Eine Möglichkeit ist, den Taugenichts einfach vor die Tür zu jagen. Doch läuft man so Gefahr, für einen Unmenschen gehalten zu werden. Geschickter ist es, sich des ungeliebten Gasts in ganz besonderer Weise anzunehmen, so als wolle man eigentlich nur sein Bestes. Und wenn er denn sein Bündel packt und sich auf den Weg macht ­ mit einem Dutzend guter Ratschläge versehen ­ dann glaubt er schon fast, er hätte es selber so gewollt.

So geht es in Berlin mit den Sozialhilfeempfängern. Während die Abgeordneten beschlossen haben, in den nächsten dreißig Jahren mit bis zu 21 Milliarden Euro die Risiken der Bankgesellschaft zu übernehmen, muß an anderen Stellen gespart werden. Zum Beispiel an den Alimenten für Arme. 250 Millionen Euro Sparpotential soll die Sozialhilfe hergeben, bis zum Jahr 2003. So will es die rot-rote Koalition.

Fast acht Prozent der Berliner Bevölkerung sind nach der neuesten Statistik auf die Sozialhilfe angewiesen. Seit 1991 hat sich die Anzahl der Sozialhilfeempfänger fast verdoppelt. Rund ein Drittel davon sind Kinder oder minderjährige Jugendliche. Die meisten Hilfeempfänger leben in den Bezirken Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und im Großbezirk Mitte.

Die Leiter der Sozialämter halten das Herunterkürzen der Mittel für schier unmöglich. Einen politischen Skandal nannte der CDU-Sozialstadtrat von Tempelhof-Schöneberg Bernd Krömer die Einsparungen gegenüber der Berliner Zeitung. Auch sein Pendant in Groß-Mitte Christian Hanke (SPD) äußerte gegenüber scheinschlag, daß er die Einsparungen in dieser Größenordnung für nicht machbar hält. Für so ein Unternehmen stimmten die Rahmenbedingungen in Berlin nicht. „Wenn einerseits die Arbeitslosigkeit in den letzten zehn Jahren in der Stadt rapide angestiegen ist, kann man nicht gleichzeitig Notleidenden einfach ihren Lebensunterhalt streichen." Doch die Vorgaben bleiben. Und wohin nun mit den Sozialhilfeempfängern? In Lohn und Brot bringen natürlich, was sonst. 6000 Stützeempfänger sollen in Arbeit vermittelt werden ­ wie auch immer. Die Maxime „Fördern und Fordern" gelte nun auch in Mitte, sagt Hanke.

Ab Juni wird in Mitte das Projekt „Arbeit sofort" gestartet. Es richtet sich an 18 bis 25jährige, die in Arbeits- oder Qualifizierungsmaßnahmen gebracht werden sollen. Ziel soll in erster Linie der erste Arbeitsmarkt sein. Doch auch das Programm „Integration durch Arbeit" (IdA) soll weiterlaufen. Und es gibt ein neues Zauberwort – es heißt: Fallmanager. Das Prinzip kommt aus den USA und wurde bereits im Jahr 2000 als Modell in Köln ausprobiert. Auch in Berlin macht der Fallmanager Schule: In den Bezirken Treptow-Köpenick, Pankow, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg haben die Sozialämter das Modell bereits eingeführt. Dem althergebrachten Sachbearbeiter, der von Haus aus Verwaltungsangestellter ist, wird demnach Personal zur Seite gestellt, das weitreichendere Kompetenzen hat und psychologisch oder pädagogisch ausgebildet ist. Der Fall wird also nicht mehr bloß bearbeitet, wie bisher – sondern er wird gemanagt. In Treptow bedeutete das unter anderem, daß 18 bis 25-Jährigen ein „individueller Hilfeplan" unterbreitet wurde. Jeden Tag bekamen die jungen Hilfeempfänger eine Arbeit zugewiesen. „Wer da nicht hingegangen ist, bekam die Sozialhilfe gestrichen. Das hat gut funktioniert", sagte Meißner, der dortige Sozialamtsleiter, gegenüber der Berliner Zeitung.

Denn nicht nur der Gedanke, dem Erwerbslosen zu seinem Glück in einer neuen Arbeit zu verhelfen, spielt offenbar eine Rolle, sondern eben einfach die „enorme finanzielle Drucksituation durch Haushaltsvorgaben", wie Hanke erklärt. Und dabei gerät Mitte mit seinem Sozialhilfeetat voraussichtlich in Schwierigkeiten, die wohl auch Fallmanager nicht mehr managen können. Denn es gibt im Bezirksetat solche Haushaltstitel, die als „steuerbar" und solche, die als „nicht steuerbar" angesehen werden. Für letztere springt bei einer Verschuldung des Bezirks der Senat ein. Bei den anderen nicht – denn da könnte der Bezirk ja sparen, wenn er es geschickt anstellt. Doch der Senat erklärte nun Posten wie die Unterstützung für Behinderte und für Menschen im Asylverfahren sowie die Krankenbeihilfe für „steuerbar". Das heißt, daß das Geld für Behinderte nun einfach Mitte des Jahres aufgebraucht sein könnte – und der Bezirk hätte dann keinen Spielraum mehr, die Ausfälle auszugleichen. Ob nun also die Senatspolitik des „Förderns und Forderns" wirklich noch etwas mit gutem Willen zu tun hat, darf bezweifelt werden.

Larissa Reissner

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 04 - 2002