Ausgabe 04 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Wer sich das nicht leisten kann, muß eben woanders hinziehen

Verträgliche Mieten sind nicht länger politischer Wille

Was bisher aus rein finanziellen Gründen beschnitten werden sollte, scheint nun in Berlin auch nicht mehr politischer Wille zu sein: eine Stadterneuerungspolitik, die ein verträgliches Mietpreisniveau sichert, um Verdrängungsprozessen entgegenzusteuern. Daß die Programme der „Sozialen Stadterneuerung" aufgegeben werden sollten, ist bereits Bestandteil der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS, wie der scheinschlag in der Januar-Ausgabe berichtete. Ein harter Einschnitt, denn auch wenn das Programm Mängel hatte und nicht nur Mieter, sondern auch Investoren und die Landesbank von den Geldern profitierten, funktionierte bislang eine gewisse soziale Abfederung der privaten Sanierung über diese Förderung. Denn als Gegenleistung für Fördergelder verpflichtete sich der Investor befristet auf ein bestimmtes Mietniveau. Mieterberatung, Umzugshilfen und Umsetzwohnungen waren inbegriffen. Die „soziale Stadterneuerung" geriet des- halb unter den Kürzungshammer, weil das Land Berlin dafür aufkam. Weitergeführt werden sollten ausschließlich solche Programme, die durch Bund oder EU kofinanziert werden.

Gleichzeitig sollten mit weniger Geld bestimmte Schwerpunkte in der Stadterneuerung gefördert werden. Das neue Credo hieß: private Erneuerung aus privaten Mitteln, öffentliche Gebäude, öffentlicher Raum und Infrastruktur aus öffentlichen Mitteln. Die Mieten sollen durch administrativ gesetzte Mietobergrenzen abgefedert werden. So jedenfalls steht es im Koalitionsvertrag: „Miet- obergrenzen" seien dann ein probates Mittel, „wenn andernfalls unvertretbare soziale Verdrängungsprozesse stattfinden."

Doch plötzlich hört man vom Senat ganz andere Töne. Es mangelt offenbar nicht nur am Geld, sondern auch am politischen Willen für die soziale Stadterneuerung. So äußerte Senator Strieder gegenüber Baustadträten, daß die privaten Investoren, wenn sie auf öffentliche Gelder verzichteten, die Sanierung eben nach ihren Vorstellungen durchführen dürften, Mieten würden dann wesentlich höher. Wer sich das nicht leisten könne, müsse eben woanders hinziehen. Leerstehende Wohnungen gebe es genug.

Mittes Stadtentwicklungsstadträtin Dorothee Dubrau ist darüber einigermaßen irritiert. Daß sich eine rot-rote Regierung derart von ihren Grundsätzen verabschiedet, will ihr nicht einleuchten. Gerade die SPD habe Sozialverträglichkeit in der Stadterneuerung über Jahrzehnte hinweg in den Vordergrund gestellt, ebenso sei dies immer ein Grundpfeiler der Politik der PDS gewesen. „Ich denke, daß sich die beiden Parteien darüber verständigen müssen, was sie für die Stadt tatsächlich wollen", sagt Dubrau. Tatsächlich bedeutet die Handhabe der Mietobergrenzen ­ gerade in einer Phase, da sie juristischen Gegenwind bekommen ­ ein politisches Bekenntnis für oder gegen sozialverträgliche Bedingungen in einer Stadt. Denn wenn man diese schon nicht mehr durch Subventionen steuern kann, dann müßte es wenigstens einen erklärten Willen geben, administrativ zu lenken. Die Mieter in den Innenstadtbezirken, wo es immer noch einen hohen Investitionsdruck gibt, ungeschützt den Verwertungsinteressen von Vermietern auszusetzen, ist zynisch.

Doch nicht nur der politische Wille zu Mietobergrenzen scheint zu schwinden. Auch an anderen Stellen geraten die Reste der sozialverträglichen Stadterneuerung unter Beschuß. Zwar gibt es noch keinen offiziellen Haushalt, doch kurz vor Ostern erhielten die Stadträte die Information, daß nun auch jene Programme von Kürzungen betroffen sein sollen, die der Bund bzw. die EU kofinanzieren. Insbesondere das Denkmalschutzprogramm und das EFRE-Programm sind bedroht. Auch hier bricht die Regierung den Koalitionsvertrag. Denn gerade auf den öffentlichen Raum und auf die Infrastruktur, so hatte man schließlich groß getönt, wollte man die verbleibenden Mittel konzentrieren. Und eben in den öffentlichen Raum ­ in Plätze, Straßen und Parkanlagen ­ fließen Mittel aus dem EFRE-Programm.

Das Denkmalschutzprogramm wiederum spielt in den Stadteilen Rosenthaler Vorstadt, Spandauer Vorstadt, in der Lichtenberger Viktoriastadt und in vier Gebieten in Köpenick eine wichtige Rolle. In diesen Denkmalschutzgebieten werden mit diesen Geldern u.a. öffentliche Gebäude, wie etwa Schulen, instandgesetzt. Andererseits kann hier bislang ein noch großer Teil der privaten Sanierung halbwegs mietenverträglich realisiert werden. Letzteres gewinnt gerade jetzt an Bedeutung, da die „Soziale Stadterneuerung" weggebrochen ist.

Unverständlich sind die Streichungsvorschläge vor allem, da der Senat gleichzeitig immer noch aufwendige Verkehrsprojekte unterstützt. Die zusätzliche Straße bei den Rathauspassagen oder die kostenintensive Straßenumleitung in der Leipziger Straße können zwar wohl auch noch am Geld scheitern – sie scheinen dem Stadtentwicklungssenator jedoch stärker am Herzen zu liegen als die elementaren Lebensbedingungen der Mieter in Berlin.

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