Ausgabe 04 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Im Schwitzkasten der Finanzpolitik

„Keine Kürzungen im Kulturbereich!" hatte die PDS im Wahlkampf getönt. Seitdem geistern immer neue Sparpläne durch die Presse, um umgehend wieder dementiert oder nachgebessert zu werden. Für die Wirtschaftsförderung riskiert der rosarote Senat hingegen den Staatsbankrott: Allein der Betrag, mit dem für die nächsten 30 Jahre die Risiken der kaputten Bankgesellschaft abgesichert werden, ist höher als der gesamte Jahreshaushalt. Sollten tatsächlich alle Immobiliengeschäfte der Bankgesellschaft scheitern, gehen im Rathaus die Lichter aus.

Angesichts dieses Szenarios nahm die Öffentlichkeit das Mitte März vorgelegte Sparpaket mit Erleichterung auf. Insbesondere dem Kultursenator Thomas Flierl wurde bescheinigt, daß er sich wacker geschlagen habe. Den Großteil der nötigen Einsparungen will Flierl dadurch erreichen, daß kulturelle Aufgaben vom Bund übernommen werden. Den Rest will er aus den Etats des Friedrichstadtpalastes, der Opernballetts sowie einiger kleinerer Institutionen zusammengekratzen, unter ihnen das Bethanien, das Podewil und die KunstWerke ­ alles Pläne, die schon zwei Wochen nach ihrem Bekanntwerden wieder in Frage gestellt sind. Wenn der Bund, wie angekündigt, allenfalls die Museumsinsel bezahlt, wird Flierl alle Etats noch einmal neu verhandeln müssen. Besonders gefährdet ist die Off-Kultur, deren Þnanzielle Unterstützung immer mehr den Charakter von Almosen erhält. Aber die Neider dürfen beruhigt sein ­ schon im nächsten Jahr geht es auch den Etablierten an den Kragen. Dann nämlich laufen die Verträge aus, mit denen die Stadt an Institutionen wie das Hebbel-Theater oder die Schaubühne gebunden ist. Und dann erst kommen die richtig Þesen Sparrunden. Denn auch der neue Senat hat sich nicht getraut, die ganze Misere auf den Tisch zu packen, und die meisten Kürzungen schlicht verschoben.

So können die Kulturschaffenden dieser Stadt noch ein bißchen weiter wursteln. An dem Grundproblem kommt aber niemand mehr vorbei: Der Staat ist arm und sein Geld reicht nicht mehr für alle. „Es kann auch eine kulturelle Leistung sein, sich von etwas zu verabschieden, das nicht mehr zeitgemäß ist", meint Flierl dazu. Schön wär´s, wenn tatsächlich die unproduktiven Dinosaurier des Berliner Kulturlebens als erste auf der Streichliste stünden. Von einer zielgerichteten, inhaltlich begründeten Kulturpolitik ist seine Behörde aber weit entfernt. Gezwungenermaßen muß Flierl sich danach richten, wo Einsparungen möglichst reibungslos durchsetzbar sind, nicht danach, wo sie kulturpolitisch Sinn machen. Nichts deutet darauf hin, daß er sich aus dem Schwitzkasten der Finanzpolitiker befreien kann, die schon seit Jahren immer neue Sparrunden fordern und wohl erst Ruhe geben werden, wenn der gesamte Haushalt in die Wirtschaftsförderung geht. Der Rat der Künste, ein unabhängiges Komitee von Kulturschaffenden, fordert dringend ein Moratorium bei den Streichungen, um Zeit für eine öffentliche Diskussion zu gewinnen. Zu diesem Zweck schlug er in einem offenen Brief an den Kultursenator ein „klar strukturiertes, ergebnisorientiertes Diskussions- und Planungsforum" vor, das zwischen den verschiedenen Interessen vermitteln und konsenfähige Lösungsansätze erarbeiten soll: Das „Forum Kultur", bestehend aus unabhängigen Vertretern aller Facetten des kulturellen Lebens. Schon möglich, daß auf diese Weise die Verteilungskämpfe entschärft werden können. Man darf auch annehmen, daß ein solches Gremium intelligentere Sparvorschläge unterbreiten würde als die, die in den Amtsstuben der Kulturbehörde ausgebrütet werden. Solange sich die Diskussion aber nur um Einsparmöglichkeiten dreht, wird auch das weiseste Gremium nicht den „offenen Wettstreit um radikale Ideen" führen können, den der Rat für Kultur zu Recht für nötig hält.

Radikale Ideen? An dieser Stelle soll daran erinnert werden, daß jeder staatliche Haushalt neben der Ausgaben- auch eine Einnahmenseite hat. Warum wird nur noch über die erstere gesprochen? Gibt es in diesem Land etwa keinen Reichtum mehr, der zur Finanzierung gemeinschaftlicher Aufgaben abgeschöpft werden kann? Offenbar ist es so unfein, die öffentliche Hand auch einmal zum Zugreifen zu ermutigen, daß man es nicht einmal von einer sozialistisch sich nennenden Partei erwarten darf. Wenn es beim Regieren aber nur um die Verwaltung des Mangels geht, sollte die PDS besser in die Opposition zurück. Auch da würde sie nicht die Welt retten. Aber sie könnte wenigstens die Wahrheit sagen.

Otto Witte

Ausführliche Informationen zu den Kürzungen im Kultur- und Sozialbereich unter "Nachrichten" und "Stadt".

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