Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ulrike Langenbeck / Uwe Monat

Thesen

1. Diktaturen wachsen auf Angst und Gehorsam. Literatur muß die Manipulation von Familie und Institutionen aufdecken, Mut geben, autoritäre Erziehung abzulegen und persönliche Autarkie, eine freie Gesellschaft und Unbeherrschbarkeit anzustreben.

„Will der Roman seinem realistischen Erbe treu bleiben und sagen, wie es wirklich ist, so muß er auf einen Realismus verzichten, der, indem er die Fassade reproduziert, nur dieser bei ihrem Täuschungsgeschäft hilft." (Adorno, Noten zur Literatur)

2. Mit einer verstümmelten Sprache kann man nur verstümmelt denken. Literatur hat die Aufgabe, nach den Kahlschlägen der Rhetorik der Mächtigen die trostlosen Reste des öffentlichen Gesprächs wieder aufzuforsten. Der Roman, mit seinem festen Platz im öffentlichen Gespräch, hat die Chance, LeserInnen über ihr Schattendasein im Yuppiehimmel hinaus miteinander ins Gespräch zu bringen.

3. Hauptthemen der Nabelschau so- genannter jeunesse-dorée-Schreiberlinge sind Langeweile, sexuelle Frustration und Konsum. In keiner populären Berliner Literatur wird der psychische und materielle Druck thematisiert, den die deutsche Regierung auf die Bevölkerung ausübt. (Wer würde heute Kraus und Tucholsky verlegen, wenn sie unbekannte Schriftsteller wären?) Im Rampenlicht stehen Autoren, die mit dem Status quo keinen Konflikt austragen. Deren Segregate verkaufen sich hervorragend, doch profitorientierte Verlagsprogramme sind Zensur.

4. Ungerechtigkeit darf nicht mehr verdaut werden. Literatur muß der „vom Kommerz geschändeten Sprache" (Adorno), dem trägen Kurzzeitgedächtnis und der Zuckrigkeit des Konsums Widerstand leisten, ohne leicht verdaulich zu sein.

5. Die Greuel der deutschen Geschichte sind in der Sprache gespeichert. Deshalb ist Literatur einer historischen Sprachsensibilität verpflichtet.

„Was sind das für Zeiten,/wo ein Gespräch/beinah ein Verbrechen ist,/weil es soviel Gesagtes/mit einschließt?" (Celan, Ein Blatt baumlos, für Bertolt Brecht)

6. Literatur muß den Stummen das Wort geben und die Ausradierten sichtbar machen. Der kränkende und krankmachende Druck des Systems ist für tausende BürgerInnen zu einer persönlichen Erfahrung geworden. Diese Erfahrungen immer wieder zu verzerren, und auszublenden ist Propaganda. Literatur muß der Minderheit der Mächtigen die Erfahrungen der Mehrheit entgegensetzen.

Ulrike Langenbeck, geb. 1970, und Uwe Monat, geb. 1977, leben in Berlin und arbeiten derzeit an ihren ersten Romanen.

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  Ausgabe 03 - 2002