Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
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Inteview mit Hedwig Müller*, Auszubildende in einer Werbeagentur

Du machst eine Ausbildung zur Mediengestalterin Digital und Print. Was ist das?

In der Agentur, in der ich bin, wird auf der Basis des Grafikers aufgebaut, es gibt andere, die Druckvorlagenherstellung machen oder im Bereich Lithografie arbeiten. Wenn man die Rahmenpläne unserer Schule liest, merkt man, daß alles stark in eine technische Richtung geht.

Warum hast du diese Ausbildung angefangen?

Nach dem Abitur habe ich vier Jahre lang frei als Künstlerin gearbeitet. Dann wollte ich einen Abschluß machen, um anschließend Ruhe zu haben. Was mir am leichtesten fiel und am meisten Spaß machte, war das, womit ich mich bereits die ganze Zeit beschäftigt hatte. Deshalb beschloß ich, das als Ausbildung zu machen. Für mich war von vornherein klar, daß ich nicht in der klassischen Werbung bleiben, sondern nach Alternativen suchen wollte, was zum Beispiel politisches Grafik-Design ist.

Wie sind die Arbeitsbedingungen bei dir im Betrieb?

Die Arbeitszeit geht in der Regel von 9 bis 18 Uhr, man kann jedoch einplanen bis 20 Uhr. Darin ist eigentlich eine Mittagspause enthalten, die aber meistens nicht zu realisieren ist. Oft wird auch am Wochenende gearbeitet. Ansonsten gibt es die typische „Du-Struktur", als würde dadurch alles besser werden. Verdeckt gibt es natürlich Hierarchien, die knallhart sind, die ich sogar als härter bezeichnen würde als die in Betrieben, in denen man sich wie früher siezt. Heute schmiert man halt kein Leberwurstbrot mehr, sondern geht CD-Rohlinge kaufen als Azubi und kehrt nicht mehr den Hof, sondern bereinigt Server-Strukturen.

Wenn man das Arbeitsklima oberflächlich betrachtet und mal zwei, drei Wochen reinschnuppert, wird man wahrscheinlich sagen: super. Wenn man länger bleibt, weiß man, daß man eigentlich niemandem trauen kann. Es ist eben alles klassische Werbung. Eine schöne Fassade: Alle sind nett zueinander, verstehen sich und gehen abends noch ein Bier trinken. Aber wenn man in die Tiefe geht, muß man sehr aufpassen, wem man sagt, daß man das eigentlich alles ganz schön Scheiße findet. Man kann nie sicher sein, ob der in der nächsten Situation nicht derjenige ist, der bei der Geschäftsleitung was fallen läßt.

Wie befähigt sind deine Ausbilder?

Ich würde sagen, die Qualität ist schlecht. Das heißt nicht, daß die Leute keine Ahnung haben, sondern betrifft die Wissensvermittlung. Daß man mal aus dem Betrieb kommt und denkt: „Wow, heute habe ich was gelernt, mit dem ich was anfangen kann", ist eigentlich nicht der Fall. Der Betrieb achtet sehr darauf, was für Grundvoraussetzungen man mitbringt. Du bewirbst dich in der Agentur ähnlich, als würdest du dich an der HdK bewerben: Du schickst eine Mappe und vielleicht wirst du eingeladen. Es gibt Einstellungstests und eventuell bist du die Glückliche, die die Ausbildung machen darf. Die stellen nur Leute ein, die schon was drauf haben und die sie direkt einsetzen können.

Du gehst außerdem auf die Berufsschule am „Oberstufenzentrum Druck" in Reinickendorf. Lernt ihr dort mehr?

In der Berufsschule geht es drunter und drüber. Da wurde ein neuer Ausbildungsberuf geschaffen, ohne darauf zu achten, ob die Lehrer fähig sind, das zu unterrichten. So ein Fachtheorielehrer freut sich tatsächlich, wenn ein Schüler ein Referat über ein Motherboard hält, weil er dann was gelernt hat! Die Kenntnisse der Lehrer sind extrem schlecht. Das Einzige, was die Schule hinkriegt, ist der Gestaltungsunterricht. Den Rest des Unterrichts kann man sich eigentlich knicken. Ich würde jedem über 21 raten, sich von der Berufsschule freistellen zu lassen, sich zwei gute Bücher zu kaufen und die zu lesen. Da spart man sich eine Menge Ärger.

Aber diese Zeit verbringt man dann ja im Betrieb. Das ist doch auch nicht besser!

Das ist auch nicht besser. Man müßte eine Regelung finden, die einen von der Berufsschule freistellt und einem den entsprechenden Tag zur Verfügung stellt. Ich habe die Alternative gewählt, weil das der einzige Tag in der Woche ist, an dem ich früher frei habe. Aber ich sitze da jedes Mal ungläubig. Die Lehrer wissen überhaupt nicht, wie der Berufsalltag ist. Sie gehen davon aus, daß du um eins den Griffel fallen läßt und danach Zeit hast, Hausaufgaben zu machen.

Liegt das daran, daß sie aus einer anderen Zeit kommen?

Definitiv. Im Schnitt sind sie um die 50, da ist das kein Wunder. Aber du weißt, daß du eine Prüfung machen mußt. Dementsprechend groß ist die Panik, wenn du nach anderthalb, zwei oder drei Jahren vor der Prüfung ein Buch zur Hand nimmst und siehst, daß du, wenn du Glück hast, von 700 Seiten nur zwei Themen ansatzweise behandelt hast.

Hast du eine Idee, wie diese Ausbildung anders laufen müßte ­ ganz grundsätzlich, sowohl im Betrieb als auch in der Schule?

Man sollte das duale System in diesem Falle abschaffen. Es ist vertane Liebesmüh, zu sagen, man ändert jetzt die Strukturen der Werbeagenturen so, daß Auszubildende da aufgefangen werden. Es ist genauso sinnlos, den Lehrern in der Berufsschule irgendwelche Fortbildungen zu geben. Dann haben sie eine Fortbildung von einer Woche, wo sie lernen, was das Programm Flash ist, und dann geben sie dir als Hausaufgabe auf, eine fünfzehnminutige Flash-Animation bis zur nächsten Woche zu erstellen, obwohl du nie mit Flash in deinem Betrieb zu tun hast. Das ist wirklich vertan, da irgendwas ändern zu wollen.

Es müßte sowas wie eine moderne Schule geben, in der es Rechner gibt, kleine Aufträge, bei denen die Schüler mit qualifizierten Lehrkräften arbeiten, Honorarkräften vielleicht. Eine schulische Ausbildung, die die Praxis mit drin hat. Es gibt ja jetzt wahnsinnig viele arbeitslose Grafik-Designer und Setzer.

Was verdient man als ausgebildete Mediengestalterin?

Das ist wirklich sehr interessant. Wenn ich eine ehemalige Auszubildende frage, mit was für einem Lohn ich zu rechnen habe, wenn ich übernommen werde, kriege ich keine Auskunft. Es ist wirklich so: Darüber wird überhaupt nicht geredet.

Kannst du dir überhaupt vorstellen, in dieser Firma nach Abschluß deiner Ausbildung weiter zu arbeiten?

Es gab eine Zeit, in der sie ziemlich scharf auf mich waren, weil sie geschnallt haben , daß ich was kann. Aber ich freue mich schon seit zwei Jahren auf den Moment, in dem ich sagen werde: Nein, ich will nicht. Weniger Geld, als ich im Moment bekomme, werde ich nicht bekommen, wenn ich Arbeitslosengeld mit ergänzender Sozialhilfe bekomme. Ich kriege im Moment 800 Mark im zweiten Lehrjahr. Das ist mir alles lieber, als dazubleiben.

Interview: Søren Jansen

* Name geändert

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