Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Die Sache der Kirchen

Religionspolitik an den Schulen Berlins

Die Kirchen haben es schwer mit Berlin. Im Ostteil der Stadt wimmelt es von Atheisten und im Westen von Muslimen; insgesamt ist nur noch jeder dritte Berliner Kirchenmitglied. Das ganze wird von Parteien regiert, in denen ein Kirchenaustritt zur normalen Vita gehört. Zu allem Überfluß wird wohlmeinenden Christen auch die Kindererziehung schwer gemacht. Denn im Schulgesetz steht: „Der Religionsunterricht ist Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften."

Ein nur scheinbar unschuldiger Satz. In seiner bisherigen Auslegung bedeutet er, daß die Kirchen und der Humanistische Verband an den Schulen wahlweise Religion oder „Lebenskunde" anbieten – als freiwilliges Fach, in der Regel nachmittags und dementsprechend schlecht besucht. CDU und Kirchen fordern darum, die Aufgabe dem Staat zu übertragen und ein Wahlpflichtfach einzurichten, so daß die Schüler zwischen christlicher und muslimischer Religion, Ethik/Philosophie oder „Lebenskunde" wählen können – und müssen. Der Humanistische Verband hingegen verteidigt das bisherige System wegen der Freiheit, die es Lehrenden wie Lernenden biete. Die SPD zaudert. Der Vorstand tendiert zum Reformvorschlag der Kirchen, aber auf dem Landesparteitag rebellierte die Basis und blockte ab.

Dominiert wird die Debatte von ganz anderen Akteuren: Die Islamische Föderation Berlin (IFB), ein Verband konservativer Muslime, dem fundamentalistische Tendenzen nachgesagt werden, fordert seit Jahren einen unabhängigen Islamunterricht. Sie trat einen langen Rechtsstreit los, den sie im Februar 2000 gewann: Das Bundesverwaltungsgericht verpflichtete die Berliner Schulen, auch muslimische Gruppen für den Religionsunterricht zuzulassen. Und zwar ohne staatliche Einmischung, wie später präzisiert wurde. Die Lehrinhalte sollten zwar mit der Schulverwaltung diskutiert werden, Einþuß nehmen darf sie aber nicht. So bleibt Schulsenator Böger nicht mehr als Beanstandungen in Details und die allgemeine Ermahnung, die IFB möge sich bitte an die „grundlegenden demokratischen Werte" halten. Seit letzten Sommer gibt es islamische Religion als Schulfach; für das Schuljahr 2002/03 sollen sich bereits über 3500 Schüler angemeldet haben.

Nun haben es auch die Aleviten geschafft. Diese liberale muslimische Strömung war der Senatsschulverwaltung von Anfang an sympathischer. Angesichts der Sorge, die IFB könnte den Berliner Schülern islamistische Eiferer vor die Nase setzen, freute man sich über ein Gegengewicht. So konnten die Aleviten ohne größere Widerstände ein eigenes Schulfach durchsetzen, das im nächsten Schuljahr beginnen soll.

Noch ist die Lage relativ übersichtlich. Was aber, wenn die übrigen Religionen auf Gleichberechtigung bestehen? Die jüdische Gemeinde bietet außer an ihren eigenen auch an einigen staatlichen Schulen ihren Religionsunterricht an. Es müssen dafür nur genug Schüler organisiert werden. Nach diesem Modell könnten auch die Schiiten auf einen Zugang zu den Schulen drängen, oder die dutzenden orthodoxen Kirchen. Die Buddhistische Union soll schon Interesse bekundet haben. Etwa 130 Konfessionen soll es in Berlin geben. Das kann sehr kompliziert werden.

„Der Religionsunterricht ist Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften." So einfach das klingt ­ wie will sich die Politik aus den Debatten heraushalten, die da kommen werden? Wenn der Senat nicht am Ende seine Schulräume jedem dahergelaufenen Mystiker überlassen will, der 15 Schüler zusammenbekommt, wird er um Stellungnahmen nicht herumkommen. Das bedeutet Religionspolitik. Dann werden zwei, drei Bürokraten theologische Fachliteratur wälzen müssen, weil irgendeine ­ womöglich unerwünschte ­ Minderheit beantragt, das Seelenheil ihres Nachwuchses staatlich fördern zu lassen. Die armen Beamten werden in viele Fettnäpfe treten.

Zum Glück gibt es eine einfache Alternative: Man ändert das Schulgesetz und richtet ein normales Pflichtfach ein, in dem die Schüler alles erfahren, was es über die Weltanschauungen dieser Welt zu wissen gibt. Das berühmte „Lebenskunde, Ethik und Religion"-Modell, dessen Verteidigung die brandenburgischen Bildungspolitiker in den letzten Jahren so viel Nerven gekostet hat, wird jetzt von PDS und Grünen auch für Berlin gefordert. Die religiösen Gruppierungen können sich in ihren eigenen Einrichtungen um den Glauben der Menschen kümmern. Der Glauben ist ihre Sache – die Sache der Schulen ist Wissen und Können.

Johannes Touché

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