Ausgabe 12 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Zahllos waren die Männer, die meinen Weg kreuzten

Eine vielstimmige Anthologie mit schwuler Literatur aus ganz Europa

Die von Dirck Linck herausgegebene Anthologie Sodom ist kein Vaterland ist Wolfgang Popp gewidmet, dem Pionier einer literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit schwuler Literatur in Deutschland, Gründer der Siegener Zeitschrift Homosexualität und Literatur, die heute von Linck mitbetreut wird. 35 Geschichten aus 31 europäischen Ländern sind in diesem Lesebuch enthalten, und es sind einmal nicht die einschlägigen Klassiker Genet und Pasolini, es sind Texte, die in den letzten 20 Jahren entstanden sind.

Bei diesem literarischen Streifzug durch Europa wird eines schnell klar: Die eine, alle diese Männer, Protagonisten wie Autoren verbindende schwule Identität gibt es nicht. Wir haben es vielmehr mit einer ganzen Reihe von Konzepten und Spielarten von Homosexualität zu tun; mit länder- und generationsspezifischen Besonderheiten, Problemen und Mentalitäten. Wenn sich nun aber doch so etwas wie ein roter Faden durch die Texte – allesamt kurze Erzählungen oder Ausschnitte aus Romanen – zieht, dann ist es das Motiv des Außenseitertums. Der Titel der Anthologie zitiert denn auch Hans Mayer, den Autor des berühmten Buches Außenseiter. Ein Außenseiter ist der Slowene Brane Mo`´zeti´c, der in seinem kurzen Prosastück „Die Vergewaltigung" von anti-schwuler Gewalt berichtet; ein Außenseiter ist aber auch der Schweizer Christoph Geiser, aus einer wohlhabenden Berner Patrizierfamilie stammend, in der Homosexualität ein Tabuthema war.

Es gibt in dieser Textsammlung natürlich die Coming Out-Geschichten, Geschichten von erster zaghafter Lie-be zwischen Schülern: „Liebe! Dazu braucht es einen Jungen und ein Mädchen. Gut, bitte, wer von uns ist jetzt das Mädchen?" meint etwa Lajos in Adám Nádasdys Erzählung „Englischer Walzer" verunsichert. Auch der Spanier Luis Antonio de Villena berichtet von der „Melancholie" der „großen platonischen Liebe am Gymnasium". Der Protagonist des türkischen Autors Murathan Mungan meint resigniert: „Ich war mit so vielen Männern zusammen, bin so viele Beziehungen eingegangen und weiß trotzdem nicht, wie man mit einem Mann zusammen ist, wie man ein gemeinsames Leben aufbaut und aufrecht erhält."

Andere Autoren wie der Belgier Tom Lanoye finden ihre Themen woanders: Er gibt in „Johannesburg, Le Bain" ein Bild vom Südafrika Anfang der neunziger Jahre, und in diesem Panorama darf eben auch der Besuch einer schwulen Sauna nicht fehlen. Der jüngste Autor schließlich, Yaroslav Mogutin, 1974 in Sibirien geboren, Pornodarsteller und in Rußland für so manchen Skandal gut, schreibt in dem Zyklus „Sentimentale Kotze" über seinen ersten Mann: Es war viel Vodka geflossen und so hat er im Suff und aus Angst sein Zimmer vollgekotzt: „ich kann mich weder an sein gesicht noch an seinen schwanz erinnern".

Peter Stirner

Dirck Linck: Sodom ist kein Vaterland. Literarische Streifzüge durch das schwule Europa. Querverlag, Berlin 2001. 39,80 DM

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