Ausgabe 12 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Der Ball ist eckig

Ein Buch über den großartigen Fußballphilosophen Cesar Luis Menotti

Von Fußballtrainern erwartet man nichts anderes, als daß sie Blödheiten absondern wie: „Der Ball ist rund" oder: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel". Und das als die Philosophie des Fußballs ausgeben. Der Argentinier Cesar Luis Menotti, Kettenraucher, Weltmeistertrainer der argentinischen Nationalelf 1978 und Hochphilosoph, stand dem entgegen – als Utopist des Schönen, des Guten und Wahren. Und als Utopist, „Mann der Linken" auch immer Künder eines Paradoxons. Leider befindet er sich mittlerweile im Ruhestand, und Äußerungen von ihm in der Öffentlichkeit sind rar geworden.

Ein Buch über diesen wackeren Streiter für einen besseren Fußball („etwas kaputtmachen kann jeder Idiot"), mithin auch für ein besseres Leben brachte schon vor Jahresfrist der hierzulande kaum bekannte österreichische Eichbauer Verlag heraus. Cesar Luis Menotti ­ Ball und Gegner laufen lassen von Harald Irnberger versammelt die Weisheiten Menottis, und ist gleichzeitig ­ ganz im Sinne des Porträtierten ­ Pamphlet wider die „Ronaldisierung" des Fußballs: Superstar Ronaldo als Inbegriff des dümmlichen, von der Werbeindustrie instrumentalisierten, gleichgeschalteten Kickers.

Menotti, der den Fußball wie er sein sollte, als ein „fröhliches Fest" bezeichnet, unterscheidet zwei Systeme, „rechtes" und „linkes" Kickertum: „Beim Fußball der Rechten ist der Spieler ein Werkzeug für den Sieg bzw. den Tabellenplatz", dagegen: „Beim Fußball der Linken ist der Spieler ein Wesen, das Schönheit schafft." Den Satz von Che Guevara: „Wir machen nicht nur Revolution, um jedem sein tägliches Brot zu garantieren – es geht darum, das Leben zu verändern" interpretiert Menotti folgendermaßen: „Das heißt: Beim Fußball der Linken spielen wir nicht einzig und allein, um zu gewinnen, sondern um besser zu werden, um Freude zu empfinden, um ein Fest zu erleben, um als Menschen zu wachsen", und erklärt weiter: „So gesehen erfüllt der Fußball dieselbe Funktion wie andere Ausdrucksformen der Kunst – wie ein guter Film, ein gutes Lied, ein gutes Gedicht, ein gutes Bild. Anders gesagt, bereitet er uns vor auf ein besseres, ein gerechtes und menschliches Leben." Schon allein wegen solch grandioser Zitate ist das Buch überaus lesenswert. Man ist als Rezensent versucht, immer noch mehr der poetisch-philosophischen Tiraden Menottis wiederzugeben. Deshalb noch eine: „Ich habe noch Träume. Diesen etwa: einmal eine Mannschaft zu sehen, die auf dem Trikot statt des Markenzeichens eines Sponsors das Wort NEIN stehen hat."

Daß das von Menotti Imaginierte jemals Wirklichkeit werden könnte, erscheint gerade jetzt nahezu ausgeschlossen. Daß es aber einen Menschen gibt, der an so etwas glauben kann, so etwas aussprechen kann, macht die Dinge (den Fußball, das Leben und den ganzen Rest), so wie sie nun mal sind, doch um einiges erträglicher.

Roland Abbiate

Harald Irnberger: Cesar Luis Menotti – Ball und Gegner laufen lassen. Werner Eichbauer Verlag, Wien 2000. 39,80 DM

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