Ausgabe 12 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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„Bitte spielt Elvis!"

Eine Epoche Berliner Radiogeschichte im Alliierten Museum

Die Moderatoren waren ungewohnt locker, auf die Nachrichten konnte man sich verlassen. Vor allem aber drangen plötzlich lange verpönte Töne aus den Volksempfängern: Mit den Radiosendern der alliierten Truppen hielten 1945 auch Swing, Jazz und später Rock 'n' Roll Einzug in die deutsche Trümmerwüste. Der Einfluß von American Forces Network, British Forces Broadcasting Service und der französischen FFN wurde entscheidend für die Hörgewohnheiten des hiesigen Publikums. Jetzt beleuchtet das Dahlemer Alliierten Museum ein 1994 zu Ende gegangenes Kapitel Radiogeschichte. In der Ausstellung kommen nicht nur Radioveteranen, sondern auch deutsche „AFN-Freaks" der ersten Stunde zu Wort: Die „Golden Days" des Hörfunks – vor dem Aufstieg des Fernsehens zum Massenmedium – waren die Zeit der Big Bands, von Benny Goodman, Glenn Miller und Count Basie. Eine ganze Generation junger Nachkriegsberliner wuchs mit den Musiksendungen „Duffel Bag", „Frolic at Þve" oder „On the Scene" auf. Moderatoren wie George Hudak waren Idole, deren Akzent und deutsch-englische Wortschöpfungen à la „Auf Wiederbye-bye" man imitierte. Sie prägten ein überaus positives Amerika-Bild: „Wir waren zu New Yorkern geworden, lange bevor Kennedy ein Berliner wurde." Ursprünglich nur in Betrieb, um die Truppen und ihre Familien mit Nachrichten und Unterhaltung aus der Heimat zu versorgen, halfen die Sender, Berührungsängste zwischen Besatzern und Bevölkerung abzubauen und waren die beste Propaganda für den Westen. Deutsche Hörerwünsche wurden grundsätzlich erfüllt, nicht weniger verließen sich die Einheimischen auf die politischen Informationen der anglo-amerikanischen Journalisten. Wenn während des Kalten Krieges manchmal unvermittelt Sendepause war, liefen im Funkhaus die Telefondrähte heiß: „Es gab diese Angst, es könnte etwas passiert sein, wenn AFN nicht sendete", erinnert sich Radioveteran Mark White. Luftbrücke, Mauerbau und Mauerfall – er und viele seiner Kollegen identifizierten sich mit Berlin und waren in historischen Momenten immer vor Ort und auf Sendung. Während sich die Amerikaner auch über den Äther oft zu Verteidigern der „Freedom's Fortress" Berlin erklärten, klangen die Briten von BFBS mehr „laid back" – ihr Musikprogramm und die Features fanden ebenfalls begeisterte Hörer. Deutschlandweit wurde das Publikum der englischsprachigen Militärsender in den sechziger Jahren auf sechs bis sieben Millionen Menschen geschätzt, genaue Zahlen waren geheim. Sicher nicht mitgezählt hat man dabei die zahlreichen Fans im Osten: AFN erreichten Anrufe des Bill-Haley-Clubs aus Potsdam, Ost-Berliner Postkarten mit dem Wunsch nach Musik von Elvis und einmal sogar ein Stein, der papierumwickelt über die Mauer geflogen war: „Legt für mich ´Rock Around the Clock' auf!"

In Dahlem gibt es neben Dokumenten, Fotos und allerlei Exponaten rund ums Radio natürlich jede Menge O-Töne von damals zu hören. Und das rekonstruierte Studio aus den fünfziger Jahren weckt nicht nur in denen nostalgischen Gefühle, die als Teenager manchmal live im Sender dabeisein durften.

Annette Zerpner

„The Link With Home – und die Deutschen hören zu: Die Rundfunksender der Westmächte von 1945 bis 1994" noch bis zum 17. Februar 2002 im Alliierten Museum, Dahlem, Clayallee 135, täglich außer Mi 10-18 Uhr. www.alliiertenmuseum.de

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