Ausgabe 12 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Vertonte Leidenschaft

Adventstüren aufmachen ist nichts dagegen

Sie konsumieren ihren Stoff meist heimlich und allein in der intimen Atmosphäre der eigenen vier Wände. Im Bett, in der Wanne, beim Abwaschen oder ganz klassisch auf der guten alten Couch ­ egal, Hauptsache ungestört. In der Öffentlichkeit bleiben sie anonym und verhalten sich eher unauffällig.

Gemeint sind die Konsumenten von Hörspielen. Gibt es die Hörspielhörer? Sitzen sie da wirklich zu Hause vor ihrem Radio und lauschen dem Programm oder sind sie nur ein Mythos ­ ein Instrument der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, um die Existenzberechtigung dieser Kunstform zu untermauern?

Um dieser Frage nachzugehen, hatte die Akademie der Künste vom 18. bis 23. November zur 15. Woche des Hörspiels geladen, damit sich Hörspielhörer und Produzenten auch einmal von Angesicht zu Angesicht begegnen und jenseits des Mediums Rundfunk miteinander ins Gespräch kommen. Das taten sie dann auch, denn es kamen Hörer und zwar mehr als je zuvor: Zwischen 300 und 400 Besucher hatten sich täglich offen zu ihrer Lust am gesprochenen Wort bekannt. Seine Faszination bezieht diese Art der Radiokunst eigentlich aus einem uralten Element der menschlichen Kultur, dem Erzählen und Hören von Geschichten. Dabei gibt es neben der klassischen narrativen Erzählweise erstaunlich vielfältige Ansätze ­ das gesprochene Wort, Musik, Rhythmus und Geräusch auf interessante Weise kombiniert, um die Phantasie des Zuhörers zu kitzeln.

Auffällig war der hohe Anteil des Fachpublikums. Vor allem junge Hörspielmacher nutzten die Möglichkeit, mit renommierten Autoren ins Gespräch zu kommen. Auf ihren Wunsch hin wurde deshalb eine Reihe von Workshops zu Grundlagen der Hörspielproduktion in das Programm aufgenommen.

Der Höhepunkt des Festivals war die Verleihung von gleich zwei Hörspielpreisen. Zum einen der Hörspielpreis der Akademie der Künste für die beste öffentlich-rechtliche Hörspielproduktion der letzten Spielzeit. Zum anderen der PLOPP!-Award ­ dieser Preis für Independent-Hörspiele von freien Produzenten, in eigenem Auftrag und mit eigenem Equipment ist eine Neuerung des letzten Jahres. Bedingungen für die Teilnahme am Wettbewerb waren erstens, daß der Beitrag noch nicht gesendet wurde ­ das Hörstück mußte also jeweils eine Uraufführung sein ­ zum zweiten durfte er nicht länger als 30 Minuten sein. „Adventstüren aufmachen ist nichts dagegen" war der Kommentar des Autors und Kulturjournalisten Walter Filz, der dieses Jahr die Aufgabe übernommen hatte, aus den 110 Einsendungen eine Vorauswahl von elf Beiträgen zu treffen. Sowohl der füllige Raumklang des kinoähnlichen Studios, als auch die optisch gelungene Bühnengestaltung des Designers Carsten Minkewitz machten die Präsentation dieser elf Beiträge zu einem intensiven Hörerlebnis.

Schon das erste Stück: Eiszeit von Serotonin überzeugte durch seine hervorragende technische Umsetzung. Die Protagonistin sitzt in einem Bunker. Auf der Erde herrscht Eiszeit, die Roboter begehren auf gegen die Reste des menschlichen Gesellschaftssystems. Elektronik-Sounds und gelungene Effekte wie verzerrte Stimmen der Kommunikationsanlage konnten die frostige Endzeitstimmung gut im Saal verbreiten. Hier zeigte sich, daß viele Amateure durch die zunehmende Digitalisierung mittlerweile die technischen Vorraussetzungen besitzen, eigene anspruchsvolle Produktionen zu verwirklichen. Einen Gegensatz dazu stellte das Stück Lonely von Andreas Jacke dar. Es handelt sich dabei „um eine gespro-chene Polyphonie über die Differenz zwischen Einsam- und Zweisamkeit". Der Autor, Regisseur und Produzent in Personalunion hat in einer Hütte auf Bali während einer Nacht seine Gedanken verewigt ­ auf einem Diktaphon. Oder Linda Robinson & die geklauten Gorillas von Reinhard Niklaus, ein Kriminalfall: Aus Langeweile im Urlaub entstanden ­ im Hotelzimmer, auf dem Flur und im Fahrstuhl ­ eine Spontanproduktion in nur 90 Minuten. Die Sprecher sind der Autor, ein Siebenjähriger und eine Neunjährige. Von ihr stammt auch die Idee vom Gorillaraub. Seinen Charme bezieht das Stück aus der kindlichen Phantasie. „Scheiß auf die Logik", sagte sich dann auch Reinhard Niklaus und verzichtete komplett auf alle dramaturgischen Überlegungen. Per Stimmzettel konnte anschließend das gesamte Auditorium von 600 Zuhörern seinen persönlichen Liebling wählen. Die Moderation der Preisverleihung übernahm dann Capt. Kirk Kuttner. Der eher untypische Vertreter des Hörfunks redete sich dabei, wie immer, um Kopf und Kragen.

Die Formalien: Gewinner des Preises der Akademie der Künste wurde Nothing Hurts von Falk Richter, ein Stück „über zwei Frauen um die 30, die nichts mehr schockt". Interessanterweise war Antje Vowinckel, die hier Regie führte, die Gewinnerin des PLOPP!-Award im vorangegangenen Jahr. Den diesjährigen PLOPP! erhielt Claudia Weber für Schrottplatz: ein Monolog einer Frau, über sich und die „Gesprächspimmel" der Gesellschaft. Menschen, die reden, reden und reden – dabei ihre Sorgen ach so wichtig nehmen, sich immer an einem reiben, um dann ihre Probleme verbal abzuspritzen – mitten ins Gesicht. Die sichtlich überraschte Gewinnerin hört seit 20 Jahren Hörspiele und dachte sich irgendwann: „Hey - das kann ich doch auch!" Weil sechs Jahre lang keine Sendeanstalt ihr Script vertonen wollte, sagt sie, „hab ich´s aufgenommen und dachte - kucken wir mal, vielleicht kommt´s dann besser". Gut gedacht, es kam sogar ziemlich gut!

Martin Koch

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 12 - 2001