Ausgabe 12 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Wenn die Mafia Theater macht

Zur Situation des türkischen Theaters in Berlin

Nur bei zwei Berufen kann es nicht gehen, Amateur zu bleiben: Theatermachen und Prostution!

Metin And

Auch nach 40 Jahren Einwanderung ist das türkische Theaterleben in Berlin noch sehr jung und äußerst unreif. Erste Theaterversuche starteten Mitte der siebziger Jahre – meist amateurhafte Agitprop-Stücke. Mit der Unterstützung von Peter Stein fand sich dann in den achtziger Jahren eine türkische Schauspielgruppe in der Schaubühne zusammen, die aber nur wenige Jahre existierte. Schließlich wurde das türkische Theater Tiyatrom gegründet, das inzwischen 17 Jahre alt geworden ist. Heute gibt es in Berlin etwa 20 freie Gruppen, die türkischen, deutsch-türkischen oder multikulturellen Charakter haben und meistens unter Geldnot leiden. Als etabliertes Projekt kann man nur Tiyatrom („Mein Theater") betrachten. Das Theater kann künstlerisch zwar keinen zufriedenstellen, finanziell jedoch einige.

Vor drei Jahren schrieben elf türkische Theatermacher einen langen Brief an den Kultursenator. Grund war die Unzufriedenheit mit der Verwaltung des einzigen geförderten türkischen Theaters – eben des Tiyatrom. Obwohl diese elf Personen zu den wichtigsten Theatermachern der türkischen Theaterlandschaft in Berlin zählen, vom Theater leben und ihren Job auf jeden Fall professionell betreiben wollen, hatten sie keinen Zutritt mehr zum Tiyatrom, manche sogar Hausverbot. Zu dieser Zeit herrschte im Tiyatrom eine bodenlose Niveaulosigkeit, weil die Verwaltung stur auf Amateure baute, gleichzeitig viele gute Schauspieler auf die Straße setzte. Die Hintergründe versuchte man dem Senat in einem langen Gespräch zu erläutern: Daß der Hauptverantwortliche des Theaters immer wieder zugibt, keine Ahnung vom Theater zu haben und trotzdem seit 17 Jahren die Leitung innehat; daß der Theaterdirektor den Namen des Theaters sehr ernst nimmt und das Büro wie einen Selbstbedienungsladen für seine Dutzende anderen Tätigkeiten benutzt; vor allem aber, daß im Tiyatrom eine unfähige künstlerische Leitung herrscht, die sowohl auf das Auge als auch auf gesunde Seelen, sogar auf die Umwelt schädlich wirkt. Darüber hinaus, was ich noch immer mit Überzeugung behaupte: daß im Laden krumme Dinge gedreht werden, die für bestimmte Personen finanzielle Vorteile bringen.

Und was ist nun passiert? Nichts. Trotz wiederholter Bitten haben die elf Theatermacher nicht einmal eine Antwort erhalten; nur einen bürokratischen Klischeesatz: Wir haben es registriert, werden das weiterleiten. Das Tiyatrom wird weiterhin wie ein Selbstbedienungsladen benutzt und im Namen der Theaterkunst schrecklich mißbraucht. Welche Schlüsse könnte man daraus nun ziehen? Erstens: Der Senat steht auf Niveaulosigkeit. Zweitens: Ein kleines Häppchen der finanziellen Vorteile geht an Leute in der Senatsverwaltung. Drittens: Man hat Angst vor der türkischen Mafia.

Wie vielen bereits bekannt, gibt es in der Türkei für jede Tätigkeit in jedem sozialen Bereich eine Mafiaorganisation. Vom Pflaumenpflücken bis zur Krokodilräucherei, von Parkplätzen bis zu Parlamentswahlen. Ähnlich ist es auch in der türkischen Szene in Berlin. Wenn die elf Theatermacher statt zum Senat gleich zur Polizei gegangen wären, wäre das vielleicht viel besser gewesen.

Inzwischen haben fast alle von den wunderbaren Elf aufgegeben, mit der Begründung, daß das „System" im Tiyatrom niemals verändert werden könne. Was auch immer in der Welt in den letzten 17 Jahren passiere, Tiyatrom blieb davon unberührt, so unberührt, daß der Vorstand immer gleich bleibt, daß keine Wende möglich ist, nicht einmal ein Stück über die Wende, kein einziges Stück mit aktuellem Zeitbezug. Ein weltfremdes, unkreatives Volkshochschultheater eben ­ und das alles mit freundlicher Unterstützung des Senators für kulturelle Angelegenheiten.

Das System im Tiyatrom basiert auf bestimmten Kriterien: Wenn man dort spielen will, muß man nur schlecht sein, das ist völlig ausreichend. Wenn man was inszenieren will, muß man ebenfalls nur schlecht sein. Wenn aus Versehen oder mit ehrlichen Schauspielern eine gute Inszenierung zustande kommt und beim Publikum Erfolg hat, dann heißt das noch lange nicht, daß man weiter beschäftigt wird. Viele erfolgreiche Regisseure und Schauspieler sind in der Vergangenheit verjagt worden. Drei Beispiele dafür: Aydin Engin, Ralf Milde, Rutkay Aziz. Die vielen guten Schauspieler können wir hier nicht alle aufzählen. Aber die letzten Worte eines früh verstorbenen Schauspielers (Erhan Yener) erklären alles: „Auf meiner Beerdigung haben drei Personen nichts zu suchen"; einer davon war der Direktor des Tiyatrom.

Die etwa 200000 türkischsprachigen Berliner müssen sich nach 40 Jahren braven Steuerzahlens noch immer mit einem Theater mit 99 Stühlen begnügen. Das ist lächerlich. Eine Schande für uns alle ist, daß gute türkische Schauspieler und Regisseure in dieser Stadt an Hunger leiden, Selbstmordversuche unternehmen, auf der Baustelle oder sonstwo arbeiten. Die türkischen Berliner haben ein Recht, ein anständiges Theaterstück in ihrer Sprache zu sehen. Das wird aber nur möglich sein, wenn die MaÞa aufhört, Theater zu machen.

Yalçjn Baykul

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