Ausgabe 12 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Denkende Wartehallen, klassizistische Toilettenhäuschen

Doch der Untergang Trojas lehrt Vorsicht bei Werbegeschenken an Städte

Jahr für Jahr bekommt jeder der 3,382 Millionen Berliner ziemlich genau 8,87 DM geschenkt. Kaum jemand hat das bisher bemerkt. Es ist also Zeit zu fragen, wem wir diese großzügige Gabe verdanken. Unser stiller Wohltäter ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und heißt Hans Wall, Gründer der nach ihm benannten Wall AG. Dieser florierende Berlin-Brandenburger Musterbetrieb erspart dem Land Berlin – und damit uns allen – pro Jahr 30 Millionen DM, sagt Herr Wall. Sein Geschenk verdanken wir allein dem Umstand, daß er seit 1993 für den Senat öffentliche WC-Anlagen kostenlos baut, aufstellt und unterhält.

Doch lehrt nicht schon die antike Sage vom Untergang Trojas, daß bei Werbegaben an Städte, damals war es bekanntlich ein hölzernes Pferd, immer eine gewisse Vorsicht geboten ist? Unserem heutigen Geschenk in Form von WC-Häuschen werden natürlich kaum dreißig Krieger entsteigen, die Berlin in Schutt und Asche legen. Im Gegenteil, „kreative und maßgeschneiderte Gestaltung der Stadt" ist heute die Devise. Allein die Anzahl der Servicemitarbeiter hat sich im Vergleich zum Team Odysseus' verdoppelt: Sechzig Arbeitsplätze bringt der Sponsor in den flauen Berliner Arbeitsmarkt ein. Diese Kräfte stellen nun „innovative Stadtmöbel" auf, wie z.B. „intelligente Wartehallen", die „funktionale Bedürfnisse der Bürger mit zukunftsorientierten Applikationen verbinden." „Ein echter Gewinn für jedes Stadtbild", jubelt die Firmenprosa, und wir können diesen Gewinn etwa an den Wartehäuschen am Potsdamer Platz bestaunen, wo man E-Mails schreiben und telefonieren kann, vorausgesetzt die Intelligenz der Hallen ist gerade aktiv.

Foto: Knut Hildebrandt

Als Edelvariation stehen Kioske und WC-Häuschen, gestaltet von „namhaften Architekturprofessoren" wie etwa Josef Paul Kleihues, mit linsenförmigem Grundriß an der Straße Unter den Linden. Stadtinformationssysteme geleiten uns durch die „points of sale" und den Rest der Stadt. 160 WC-Anlagen, 2149 Wartehallen, und 7525 Werbeflächen (Stand November 2001) schmücken Berlin. Zusätzlich bringen bei zunehmendem Verfall der Straßenbeleuchtung bis zu neun Quadratmeter große hinterleuchtete „City Light Boards" Marke Wall neuen nächtlichen Lichterglanz. Berlin leuchtet überall und wird vermutlich bald auf Vorschlag der dankbaren Finanzverwaltung in „Wall-City" umbenannt.

So kann die Stadt heute bereits den Mittelstreifen des Kurfürstendamms, einst Schaumeile überlegener westlicher Warenproduktion, nicht mehr unterhalten. Kein Berliner Problem ohne (Gratis)Lösung aus dem Hause Wall! Der Spender hat sich im Sommer 2001 bereit erklärt, das gesamte dortige Stadtmobiliar zu erneuern. Dem Bezirk Schöneberg fehlt das Geld für den Betrieb der Brunnenanlagen? Wall übernimmt die Kosten. Die noch landeseigene BVG ist seit 1984 nicht im Stande, ihre Buswartehäuschen selbst aufzustellen und zu unterhalten? Die Wall AG hat inzwischen ein ganzes Sortiment an Überdachungen anzubieten, für Verkehrsbetriebe kostenlos. „Durch deren klassizistische (!), aber trotzdem leichte Formgebung wird das Warten auf Bus und Bahn zu einem angenehmen Moment", verspricht der Hersteller, und das Schönste für uns ist: Wir verdienen damit sozusagen im wartenden Nichtstun Geld!

Ganz umsonst ist das Warten jedoch nicht. Denn an jede City-Toilette, deren Benutzung natürlich nicht gratis ist, wurde die Genehmigung elf großer Werbetafeln an prominenter Stelle im öffentlichen Stadtraum geknüpft. Für deren Vermietung erhält die Wall AG knapp 30 DM täglich, wovon sie nur 15 Prozent an die Stadt abführen muß. Wie lukrativ das Geschäft mit den Werbetafeln ist, zeigt, daß die BVG früher für Wartehäuschen nur 15 Prozent, bei neueren Vertragsabschlüssen dagegen schon 65 Prozent der Werbeeinnahmen einfordern kann. Auch in den Wartehäuschen blickt man natürlich auf Werbetafeln. Der Haushaltsexperte der Grünen Müller-Schönau behauptet gar, der in Finanzfragen so glücklose Senat habe sich von Wall über den Tisch ziehen lassen. So sprudeln auch die Brunnen von Schöneberg nur bei weiteren vier hinterleuchteten Werbetafeln der Firma Wall. Entscheidend aber ist die Frage, wer eigentlich die „kreative und maßgeschneiderte" (nach wessen Maß eigentlich?) Gestaltung des öffentlichen Raumes haben will. Ein Platz ist, wo Platz ist. Heute aber ist in Berlin immer weniger Platz, sondern überall Wall. Dafür kriegen wir dann aber auch 8,87 DM jährlich.

Gernot Weckherlin

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