Ausgabe 12 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Faszinierend. Interessant.

Berlin ­ Babylon: Die Macher dieses Films zeigen alles und wollen nichts

„Wer seine eigene Kritik verbalisiert haben will, dem kommt der Film nicht entgegen." Vorausschauend wehrt der Regisseur den Vorwurf der Unentschiedenheit ab. Ja, er habe einen eigenen Standpunkt, aber „spannend bleibt der Film, wenn nicht von Anfang an durchschaubar ist, wer das letzte Wort hat." Da hat er Recht. Dennoch wuchs, je länger man im Kino saß, nicht die Spannung, sondern die Verwirrung. Man sah die stille, greise Stadt und wie sie Stück für Stück ihren Eroberern zum Opfer fällt. Man sah die Großspurigkeit der Projektentwickler und Politiker, die eitlen Gesichter, die arroganten Gesten, das verlogene Pathos der Architekten, das Speichellecken ihrer Jünger und das brave Werkeln ihrer Arbeiter. So unmißverständlich entlarvend, so empörend waren die Bilder, daß man vor Wut Bierflaschen auf die Leinwand hätte schmeißen wollen.

Und gleichzeitig sah man dies: Erhabene Größe! Weltgeschichte! Gigantische Menschenmassen in Zeitlupe. Rasanter Fortschritt im Zeitraffer. Rastlose, harte Arbeit. Der ganze Neuberliner Metropolenkitsch. Und immer wieder bedeutungsvolle, mystische Metaphern: Der Turmbau zu Babel! Alexander der Große! Der weise Mond und Walter Benjamins „Engel der Geschichte", der, immer der Vergangenheit zugewandt, vom Wind des Fortschritts in die Zukunft getrieben wird, eine tragische Figur, der „die Kette der Begebenheiten (...) eine einzige Katastrophe" ist. Gewaltiges Schicksal! Höhere Mächte! Sind das kluge Bilder für den Bau einer Stadt, der weder von Alexander dem Großen noch vom Schicksal, sondern offensichtlich von Dummköpfen und Halbstarken betrieben wird?

Oder war das gar nicht offensichtlich? Die Zuschauer: Bei den Zooms in die Arroganz der Macht zischten ein paar mißbilligend und lachten verächtlich auf. Andere lachten über die provinziellen Projektentwickler und die dümmlichen Arbeiter. Zu den Bildern der gigantischen Baustellen schwiegen alle abwartend. Oder andächtig? Als sich der Kameramann nach der Vorführung Fragen aus dem Publikum stellte, erkundigte sich eine, wie der Film in Paris und New York aufgenommen worden sei. Nur schlecht verbarg sie ihr eigentliches Interesse: Finden die uns auch so wichtig? Sind wir gut? Einer bedankte sich schlicht für die „wunderschönen Bilder". Er hatte offenbar einen Landschaftsfilm gesehen. Ein anderer stellte fest: „Das ist natürlich kein sozialkritischer Film. Und das ist auch sehr gut rübergekommen." Die Erleichterung war ihm anzumerken – und auch dem Kameramann, der froh war, so wenig sagen zu müssen. Andere Wortmeldungen forderten ihn mehr. Ob die Architekten und Politiker beleidigt auf ihre Darstellung reagiert hätten? Nein, warum auch. Ob es denn überhaupt um ihre Denunzierung ginge? Naja. Sie machten halt ihren Job, sie seien auch nur Menschen. Was die Filmemacher denn beabsichtigt hätten? Diesen „faszinierenden Moment des Bauens zu archivieren", das „Transitorische" habe sie „interessiert". Eine offene, neutrale Aufzeichnung also. Nicht polemisch, nicht sarkastisch, nicht einmal skeptisch sollten die Bilder wirken. Sondern irgendwie: faszinierend. Und auch: interessant.

„Das ist auch eine Maxime ­ keine Maxime zu haben." stellen der Regisseur Siegert und der Architekt Perrault in einem Gespräch fest, das leider nur im Netz veröffentlicht wurde. Es wäre für den Film wohl zu eindeutig gewesen, denn Perrault tritt als hyperaktiver Vollidiot auf, der nicht einmal die Fragen seines Gesprächspartners versteht. Aber in einem scheinen sie sich zu verstehen, der Macher Perrault und der Beobachter Siegert: Wir zeigen alles. Unsere Werke stehen für das eine und für sein Gegenteil. Sie wollen nichts. Es gibt nichts zu wollen. Richtig oder falsch? ­ Fragen von gestern.

Es gibt Kriterien für richtiges Bauen. Ist ein Haus, ein Ensemble, ein Stadtviertel den Anforderungen adäquat konzipiert? Ist es in der Wahl seiner Mittel effizient? Welche formale Sprache spricht es, für welche (und wessen) Ideale steht es? Ist es spannungsreich komponiert, fordert es Neugier und Phantasie heraus? Wenn solche Fragen nicht gestellt werden, wird Architektur belanglos oder zynisch. Erinnern wir uns an die Infobox. Infos? Das war ein riesiger Messestand. Wie man die Besucher umwarb: Was hier geschieht, ist groß! Neu! Schnell! Schrilles, billiges Spektakel. Hierzu nun das Resümee des trendbewußten Intellekts: Was hier geschah, war faszinierend. Und interessant.

Johannes Touché

„Berlin Babylon", Deutschland 2001, Regie: Hubertus Siegert. Kamera: Ralf K. Dobrick und Thomas Plenert, Montage: Anne Schnee und Peter Przygodda. Musik: Einstürzende Neubauten.

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