Ausgabe 12 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Afghane, Libanese, Marokkaner?

Diese Geschichte beginnt, als Bücher noch als Raubkopien verkauft wurden, und wer etwas auf sich hielt, der bekam regelmäßig den Katalog von „2001". Carlos Castaneda war schwer angesagt: Die Lehren des Don Juan „I get high with a little help from my friends" sangen die Beatles, später fuhr auch ich zum Friedhof „Père Lachaise", um mir das Grab von Jim Morrisson anzusehen. Da war es dreckig.

Doch zuvor, mit 15 Jahren, langen Haaren, ganz in Jeans, standen wir vor einer Entscheidung: Die Menschheit, so erkannten wir klar, teilt sich auf in drei Gruppen: Kiffer, Säufer, Stubenhocker. „1, 2 oder 3. Du mußt dich entscheiden, drei Felder sind frei", Michael Schanze war ganz unbemerkt zum Sprachrohr unserer Generation geworden.

Hardrock, Dosenbier und Apfelkorn, das war nichts für uns Abiturienten. Stubenhocker? Lieber sterben! Was blieb uns also? (Vom Rotwein wußten wir noch nicht.)

Die Literatur, die Rockmusik: Überall gab es nur zwei Themen: Sex und Drogen. Und es schien mir, als ob diese beiden Dinge oft gemeinsam auftreten würden. (Das glaube ich übrigens immer noch.) Und vielleicht würde man über das eine an das andere herankommen können. So weit mein Plan.

Ein Jahr zuvor schon hatte der Pastor im Konfirmationsunterricht erkannt, daß ich labil sei. ­ So kam das alles. Ich bin da so reingerutscht. Als ich Wir Kinder vom Bahnhof Zoo las, war es fast schon zu spät. Heute weiß ich manches, was ich damals nicht wußte: daß man für jeden Rausch bezahlen muß (deshalb gibt es schließlich Samstag und Sonntag), mir war das früher nicht so klar.

Ich fand Gleichgesinnte in der Jahrgangsstufe. Dann hatte ein Freund von einem Freund sturmfreie Bude. In Schobüll bei der Neubausiedlung. 15, lange Haare, Hippie, Sperrmüllsofa, Stereoanlage, Pink Floyd, Umma Gumma. Noch mit Syd Barrett, der später verrückt wurde. Drei Blättchen, Tabak, Brösel. Wir waren fünf, wir hatten zusammengelegt (für 10 Mark), und wir wollten es endlich wissen. Räucherstäbchen, Kerzenschein, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

Gut geworden. Trichterform. Anlecken. Dann dreht sich das Rädchen über dem Feuerstein, ein Funke springt heraus, eine Flamme... (hier fehlt ein Wort, wem fällt ein passendes ein? Bitte reinmalen), einer saugt.

Inhalieren, Luft anhalten, weitergeben, nicht husten.

Atom heart mother, die Platte mit dem Echolot. „Merkst du schon was?" ­ „Weiß nicht."

Mir ist schwindlig, muß mich hinlegen. Wow, was da für Stereo-Effekte drauf sind.

Müßten wir nicht kichern? Absurder Gedanke. Finden die andern auch. Sehr gelacht. Gemeinsam gelacht!

Wie die Kerze flackert. Ich möchte einen Schluck Tee. Bewußtsein: erweitert. Mund: ganz trocken. Könnte fliegen, bin aber gelähmt. Wenn ich die Teekanne, kraft meiner Gedanken, dazu bringen könnte... Bin aber leider unkonzentriert. Dann eben nicht. Gelassenheit, Buddhismus, Meditation. Wenn ich gleich kotzen muß? Will fragen, wo das Klo ist. Dark Side of the Moon. Eingeschlafen.

Nach Stunden, Matsch im Hirn, mit dem Fahrrad nach Haus.

Stubenhocker oder Dosenbier? Was blieb mir anderes übrig: Nach einem Jahr hatten wir es so weit gebracht, daß wir uns vor der Disko trafen, Haschisch und Espresso reinpfiffen und so präpariert ohne Ende Bier saufen konnten. Das hätte die Schönste aller Welten sein sollen, aber um die Wahrheit zu sagen, kann ich mich an diese Stunden kaum erinnern: Hin- und Herlaufen wie im Tigerkäfig, Verfolgungswahn am Flipperautomat, so etwas in dieser Art.

Und daß es nicht noch schlimmer gekommen ist und ich heute hier stehe, das verdanke ich ­ dem Pastor vielleicht, dessen Worte mich tief beeindruckt hatten ­ mehr aber meiner Armut, meinem Geiz, denn neben allem anderen, was mich so auszeichnete, war ich damals als genialer Schnorrer bekannt. Und: „Kann ich auch mal ziehen?", mit diesem Satz kommt man an die harten Drogen nicht ran.

Hans Duschke

Bov Bjerg sieht heute auch einiges ganz anders. Das ist normal. Und Schnorrer ist er immer noch.

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