Ausgabe 12 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Wiedereinführung der Sklaverei

Im Kampf gegen die Arbeitslosen setzt Rot-Grün auf die Ausweitung der Leiharbeit

Mit dem ohrenbetäubenden Getöse um die Beteiligung der Bundeswehr am „Kreuzzug gegen das Böse" ist es den professionellen Blendern der Bundesregierung gelungen, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, ein Gesetz zu verabschieden, das Arbeitslosen wie Werktätigen das Leben zusätzlich erschweren dürfte: das „Job-AQTIV-Gesetz", das am 1. Januar 2002 in Kraft tritt. Wie in unserer, der neoliberalen Heilslehre verfallenen Zeit, üblich, wird die Realität einfach in ihr Gegenteil verkehrt, indem man Ursache und Wirkung vertauscht und Arbeitslosigkeit als privates Problem deklariert. Lösungen werden entsprechend in intensiver sozialarbeiterischer Betreuung und Strafandrohung gesucht ­ ähnlich der Bewährungshilfe bei Haftverschonung. Daß der hochtechnisierte Kapitalismus immer weniger Menschen braucht, um immer mehr Güter zu produzieren oder daß in Berlin auf eine viertel Million Arbeitslose nur 7000 offene Stellen fallen, wird beiseite gewischt.

Wer sich in Zukunft arbeitslos meldet, muß sich als erstes einer Art Einstellungsgespräch unterziehen. Das Arbeitsamt soll dabei die individuellen Stärken und besonders die Schwächen feststellen, die eventuell zu einer Langzeitarbeitslosigkeit führen können und Möglichkeiten ausloten, wie diese zu überwinden seien. Die Bundesregierung nennt das „Profiling", was an die psychologische Profilerstellung in der Kriminalistik erinnert. Bei wem diese Profilerstellung nicht im Gespräch gelingt, wird ins „Assessment-Center" weitergeleitet, wo mit allerlei psychologischen Tricks die gewünschten Ergebnisse doch noch zu Tage gefördert werden sollen. Auf dieser Grundlage treffen anschließend Arbeitsloser und Arbeitsamt eine „Eingliederungsvereinbarung", in der genau die Aktivitäten festgehalten sind, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums zur Beendigung der Arbeitslosigkeit führen sollen. Damit kann die Stütze nicht mehr nur wegen der Ablehnung einer Arbeit, sondern schon wegen Verstößen gegen einzelne Punkte dieses ungleichberechtigten Vertrags gestrichen werden.

Wer nach den festgelegten Zeitspannen noch keine neue Anstellung gefunden hat, wird zwangsweise gefördert. Was das in den vom Arbeitsamt bezahlten sogenannten Qualifizierungs-maßnahmen bedeutet, ist bereits bekannt: Da nehmen Psychotherapeuten Arbeitslose in Seminaren zur Arbeitsplatzsuche in die Mangel und unterstellen durch ihre „Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied-Philosphie", man sei an seiner Misere selbst schuld. Da sitzen Systemadministratoren zusammen mit Computerlaien und machen einen Internet-Führerschein. Das ist keine Förderung, sondern Schikane. Gefördert wird hier in erster Linie ein Wildwuchs dubioser Weiterbildungsinsti-tute, die bar jeder Kontrolle Kurse in anerkannt schlechter Qualität anbieten.

Einer der Eckpfeiler des neuen Arbeitsförderungsrechts besteht in der Ausweitung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, der Leiharbeit. Was die Karriere dieses Arbeitsverhältnisses angeht, kann man sich nur verwundert die Augen reiben. Bis 1967 war Leiharbeit in Westdeutschland völlig verboten, danach unter starken Beschränkungen erlaubt, aber weiterhin als Sklavenhandel verpönt und für Arbeitslose als unzumutbar eingestuft. Noch 1989 forderte die IG Metall ein generelles Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Inzwischen haben sich die DGB-Gewerkschaften in einen Dienstleistungskonzern verwandelt und betreiben selbst Leiharbeitsfirmen, wie die „Start-Zeitarbeit GmbH" in Nordrhein-Westfalen. Mit dem Job-AQTIV-Gesetz ist Leiharbeit nun endlich zum großen Hoffnungsträger für die Schaffung neuer Arbeitsplätze mutiert und wird deshalb für zumutbar erklärt.

Daß mit der Ausweitung der Leiharbeit neue Arbeitsplätze geschaffen werden, scheint indes mindestens fraglich. Firmen, die Leiharbeiter beschäftigen, stellen oft gar nicht mehr selbst ein. Sicher dagegen ist, daß Leiharbeiter für die gleichen Tätigkeiten erheblich weniger verdienen als ihre festangestellten Kollegen. Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit bekamen niedrig qualifizierte Leiharbeiter 1995 im Schnitt 40 Prozent und Facharbeiter 28 Prozent weniger Lohn als ihre Kollegen. Damit werden neben den ehemals arbeitslosen Leiharbeitern auch die Stammbelegschaften unter Druck gesetzt. So verwundert es nicht, daß nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung inzwischen deutschlandweit 900000 Men- schen von einem Einkommen unterhalb der Sozialhilfe leben, obwohl sie voll beschäftigt sind. So etwas kommt bei einer Politik heraus, die nichts anderes verspricht, als Arbeit zu schaffen ­ von Bezahlung war schließlich nie die Rede.

Heutzutage wäre die Sklaverei im alten Stil geradezu ein sozialer Fortschritt. Die Sklavenhalter mußten zumindest für den Erhalt ihres Eigentums sorgen, denn neue Sklaven waren in der Anschaffung teuer. Allzu viel Hoffnung sollte man allerdings nicht in diese Perspektive setzen. Auch heute gibt es weltweit mindestens 27 Millionen Sklaven. Die Lage heutiger Sklaven beschreibt der amerikanische Sklavereiexperte Kevin Bales: da sie im „Überfluß" vorhanden sind, können sie bei zu großem Verschleiß einfach weggeworfen werden. Der Kapitalismus benötigt zig Millionen Menschen nicht mehr ­ weshalb sich die Frage, ob diese Menschen den Kapitalismus brauchen, förmlich aufdrängt. Dazu stellte die CDU 1947 in ihrem „Ahlener Programm" fest: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden." Inhalt und Ziel einer sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung könnten „nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert."

Søren Jansen

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