Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin 1901

15. Dezember

Auf einen Artikel der Bunten Zeitung„Wider die Engländerei etc." heißt es in einem Leserbrief: „Wenn es manche Deutsche nicht als Schmach empfinden, sich zu Affen der Engländer zu machen, so mag wenigsten unsere Muttersprache vor solcher Engländerei bewahrt werden." Im Berliner Lokal-Anzeiger erwidert R. Sch: „Es ist in diesen Worten eine Anrempelung aller deutschen Sportsleute enthalten. Wir, die wir, durch die Verhältnisse veranlaßt, englische Bewegungsspiele übernommen haben und betreiben, verdienen zum mindesten nicht gleich Benennungen, die aus der Thierkunde entnommen sind, und es scheint, daß der Herr Professor Dr. Dunger selbst von der Armuth unserer Sprache in gewissen Dingen überzeugt ist, sonst würde er in der so reichhaltigen deutschen Sprache doch einen milderen Ausdruck gefunden haben.

Ich behaupte hier, und jeder Verständige wird damit einverstanden sein, daß die Zeitverhältnisse der Entwickelung des Sports günstig sind, und da anscheinend die deutschen Verhältnisse sich mehr und mehr den englischen nähern (ich verweise auf Vergrößerung unserer Marine, Kolonien etc.), muß es nicht nur der Nachahmungstrieb sein, der Deutsche veranlaßt, Sport zu treiben, sondern der Grund muß doch tiefer liegen, so daß er sich einer näheren Untersuchung wohl sehr lohnend erweisen würde. Das Thema hier weiter zu erörtern, ist der Raum zu beschränkt.

Jedenfalls ist die Behauptung, daß wir bei unseren Spielen englischen Ausdrücken den Vorzug geben, nicht ganz falsch. Aber leider sehen unsere Herren Lehrer immer erst den Werth einer Sache ein, wenn dieselbe ihnen vor Augen geführt worden ist. Wir müssen bei Einführung von Spielen auf englische genau ausgearbeitete Regeln zurückgreifen, und es giebt in jeder Sprache für die Laien, die sich an die Ausarbeitung solcher Regeln und deren Uebersetzung machen, immer Schwierigkeiten, den rechten deutschen Ausdruck zu finden, da es meistens eine Sache betrifft, die man im deutschen Vaterlande noch nicht kannte. Oder es sind Ausdrücke, die glatter und in dem Spieleifer leichter auszurufen sind, wie zum Beispiel Goal (sprich Gohl) im deutschen Pfosten oder Ziel oder Thor.

Trotz alledem sind bei den neueren Ausgaben von Regeln meist deutsche Ausdrücke gewählt worden; dennoch wird es eine Zeit dauern, bis sich dieselben einbürgern, denn alte Gewohnheiten sind schwer auszumerzen. Die Sache wäre zu vermeiden gewesen, wenn die Herren, die sich über unsern undeutschen Sport aufregen, uns von vornherein eine gute deutsche Regel gegeben hätten. Es kann sie selbst nur der Vorwurf des Vorurtheils über eine Sache treffen, von deren Werth man schon heute allgemein überzeugt ist.

Schließlich sollte man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und dem Engländer dafür, daß wir uns für unseren Vortheil seine Spiele aneignen, die paar englischen Ausdrücke ruhig lassen. Sie hören sich gewiß schrecklich an, wenn man sie in langer Reihe auf dem Papier liest, aber man muß nie vergessen, daß während der Aussprache zweier Worte eine ganze Pause ist, die mit körperlicher Arbeit ausgefüllt wird, die direct und indirect unserem Vaterlande zu gute kommt, da das Spiel uns gesund und zufrieden erhält und wird manchen strammen Soldaten und manchen kräftigen Steuerzahler abgeben.

Deshalb wollen wir auch die paar Engländer, die unter uns leben und nichts für die Entschlüsse ihrer Regierung können, in Ruhe lassen, sondern als unsere Gäste betrachten, denen wir doch etwas Gutes verdanken, nämlich unseren Sport.

Es leben ja so viele Deutsche im Ausland, denen man ihre Herkunft in gleicher Weise zum Vorwurf machen könnte, für gebildete Menschen sollte es meines Erachtens nicht so vieler und crasser Worte bedürfen, um einige Dutzend fremde Ausdrücke zu bekämpfen."

Falko Hennig

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