Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Plüschtiersex und Disco-Dekade

Notizen zum 17. Interfilm-Festival

Welcher nächtliche Herumzapper ist nicht schon mal bei Arte hängengeblieben, wenn dort hübsche bunte Bildchen flimmern? Plötzlich ist alles vorbei, ein Kurzfilm. Man ärgert sich, den Anfang verpaßt zu haben. Denn ein Kurzfilm ist nichts Unvollständiges, eher eine in Kürze erzählte Geschichte. Lange hatte dieses Genre das Image, nur Spielwiese von Filmstudenten, also unprofessionell zu sein. Vom Gegenteil kann man sich einmal jährlich bei Interfilm, dem internationalen Kurzfilmfestival, überzeugen, nun schon zum 17. Mal. Von den Anfängen als reines Super-8-Festival im Kreuzberger SO 36 war nichts mehr zu merken, zumal die Spielorte in Richtung Osten verlagert wurden. Das Organisationsbüro findet man zwar immer noch auf Kreuzberger Stammgebiet, der Festivaltreffpunkt aber zog nach Mitte in unmittelbare Nähe zum Goethe-Institut um. Und so pendelten vor allem die Festivalteilnehmer zwischen dem Filmkunsthaus Babylon, den Hackeschen Höfen, der Volksbühne und dem Acud, um sich die vielfältigen Programme anzuschauen. Damit aber nicht genug: Erstmals wurde der Deutsche Kurzfilmpreis verliehen. Kulturstaatsminister Nida-Rümelin persönlich übergab die Preise während einer Gala. Daß der Staatsminister erscheint, zeigt, daß das Interfilm-Festival eine feste Größe geworden ist, obwohl sich das kaum in den zur Verfügung stehenden Geldmitteln ausdrückt. Der Großteil der Arbeit wird nach wie vor unentgeltlich von freiwilligen Helfern erledigt. Nur ein wenig steuerten das Filmboard Berlin-Brandenburg und ausgerechnet das Finanzministerium bei, der Rest kam von den üblichen Sponsoren.

Der Zuschauer mußte sich zwischen zehn Wettbewerbsprogrammen, Animationsfilmen oder Specials aus Belgien und Kolumbien entscheiden. Die Reihe „Local Heros" zeigte Filme aus der Region Berlin/Brandenburg, meist studentische Arbeiten. Besonders beliebt beim Publikum waren naturgemäß die animierten Filme und „Dark Visions", die jedoch nicht immer so dunkel waren, wenn auch oft schwarz-weiß oder sepiagetönt. So zeigte der Film In Absentia aus England die klaustrophobische Enge in einer Art Klinik, untermalt mit Musik von Karlheinz Stockhausen. In Moloch aus Tschechien besiegte ein Käfer den mechanischen Schraubenmutterstaat. Aber es gab nicht nur Märchen für Erwachsene, sondern auch zwei kostenlose Nachmittage für Kinder.

Die Volksbühne stellte ihre Räume für die „Nacht des abwegigen Films" zur Verfügung. Dabei konnten die Zuschauer ihren Lieblingsfilm per Abstimmung küren. Es galt, sich zwischen nackten Männern, Bienen oder Baggern zu entscheiden. Als weiteres Highlight seien hier noch die „Skurrilen Kostbarkeiten" angepriesen. 15 Filmchen über das Leben, Plüschtiersex, Karaoke oder die Kunst, die Augen zu verdrehen. Ganz andere Filmchen präsentierten sich in der „Wahrheit über die Disco-Dekade". Der amerikanische Filmhistoriker Dennis Nyback erzählt mit Hilfe von geschickt arrangierten Werbetrailern aus dem Amerika der Siebziger das wahre, spießige Leben während dieser Zeit, in der Diane Keaton noch jung war, Geld brauchte und deswegen für Deodorants warb. Und wer immer noch nicht genug hatte, konnte sich an „Erotic Tales" erfreuen oder im Internet über den besten Ultrakurzfilm abstimmen.

Galas und Zeremonien klingen nach Arriviertheit, aber so ein unaufgeregtes Festival kann die Stadt schon noch vertragen. Und damit den Organisatoren nicht langweilig wird, gibt es im Februar ein U-Bahn-Filmfestival. Stumme Filme mit bis zu 90 Sekunden Länge können bis zum 22. 12. bei Interfilm eingereicht werden.

ib

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 11 - 2001