Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Von Autlern und Outlaws

Weltabgeschiedenheit in der Usedomer Straße

Eine Kneipenptour, ob geplant oder spontan verabredet, folgt in der Regel einer speziellen Regie. Dazu gehört, daß man einige Kneipen niemals am Beginn aufsuchen würde, andere hingegen niemals gegen Ende. Das entscheiden oft ganz praktische Erwägungen, wie z.B. die Öffnungszeiten, oder aber persönliche Vorlieben und Stimmungen. Die in der zweiten Hälfte der Tour aufgesuchten Lokale verbindet zumeist ein ähnliches Schicksal: Allein und in nüchternem Zustand würde man sie kaum wieder finden, auch ein Telephonbuch würde nichts nützen, denn an ihre Namen erinnert man sich ja doch nicht mehr. Natürlich gibt es Ausnahmen, dazu gehört die „Autler-Klause", die sich im Wedding in der Usedomer Straße befindet.

Dieser Name nämlich hat die Kraft, der Zecherin alkoholgetrübtes Bewußtsein für eine Weile zu klären und Raum für luzide Betrachtungen zu schaffen. Stellt schon das Wort Klause eine Verbindung zum Weltabgeschiedensein her, zu einem zurückgezogenen Leben mit Gleichgesinnten ­ der nächtlichen Situation gar nicht so unähnlich ­, um wieviel mehr noch weiß der Autler zu beeindrucken. Denn dieses Wort, das sich nicht mal im Duden findet, erscheint es nicht wie die eingedeutschte Form des amerikanischen Outlaw, eines finsteren Gesellen also, der jenseits von Recht und Gesetz steht? Und fühlt man sich diesem nicht gerade jetzt so verbunden, während man, anstatt artig im Bett zu liegen und Kraft für den nächsten Tag zu sammeln, saufend durch die Nacht zieht?

Natürlich ist diese Theorie der beflügelnden Wirkung des Alkohols zu verdanken. In Wirklichkeit ist alles ganz anders, ist der Autler wohl eine Ableitung von Auto und nimmt Bezug auf das sich in der Nähe befindende Busdepot. Die Busfahrer wiederum, ähneln nicht gerade sie häufig jenen Gesetzlosen, wenn sie mit ihren Gefährten verwegen durch die Stadt brausen? Kein Wunder natürlich, wenn sie regelmäßig in der Autler-Klause auftanken.

Einen Beleg für Autler habe ich dann doch noch gefunden. „Die Briefangst des Autlers", so titelt Erika Mann 1930 in einer ihrer Glossen. Diese bezieht sich auf die per Post zugestellten Geldbußen. Ein süddeutscher Ausdruck vielleicht, der so an die Spree gelangte.

Wie auch immer, inzwischen stellt die Post weit bedrohlichere Dinge zu als Geldbußen, und Briefangst ist nicht mehr nur ein Privileg der Autler. In der Autler-Klause jedoch wird es auch in Zukunft keine Rolle spielen, ob man Autler ist oder nicht.

Carola Köhler

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