Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Nieudacznik

Vom Bekenntnis zum Scheitern

Im letzten April ließ sich ins Berliner Vereinsregister der „Polenmarkt. Bund polnischer Versager" eintragen. Seit September betreibt er in der Torstraße 66 den „Klub der polnischen Versager", der zu unregelmäßigen Zeiten geöffnet hat.

Der „Klub der polnischen Versager" ist nicht einfach ein Witz, es geht den Betreibern um einen Gedanken, der vermittelt und bestenfalls weitergedacht werden soll.

„Die Vereinigten Staaten wurden infolge der Mißgeschicke Königs Georg III. unabhängig, und Napoleon entpuppte sich vor Moskau als Versager, als er seine Armee von einer halben Million Mann in den Sand setzte und die Macht über ein halbes Europa einbüßte", schreibt der Autor Herman in der Vereinszeitung Kolano (Nr. 15, zu deutsch: Das Knie). Ein gutes Beispiel für die Fragwürdigkeit des Unterfangens, zwischen Scheitern und Gelingen klare Grenzen ziehen zu wollen. Der Autor bedauert die Kurzsichtigkeit einer Zivilisation, die trotz einer Unzahl derartiger Paradoxien unbeirrt an einer Ideologie des Erfolgs festhält ­ das Versagen dagegen wird seit jeher als negative Erscheinung aufgefaßt. „Die westliche, brave, korrekte, maßvolle Welt... verwirft jegliche positive Konzeption des Versagens", schreibt Herman.

Um diese positive Konzeption geht es den polnischen Versagern. Nicht um ein bloßes Tappen von einem Hundehaufen in den nächsten, sondern um eine kulturelle Aneignung positiver Aspekte des Scheiterns. Ansatzpunkte gibt es: C.G. Jung zum Beispiel begann Komplexe und Neurosen nicht mehr als Anomalien und Pathologien zu verwerfen, sondern als Triebfeder der Entfaltung des geistigen Lebens wahrzunehmen. Der polnische Autor Gombrovicz begriff die bewußte Erfahrung von Unausgeformtheit und Unreife als Keimzelle von Lebendigkeit.

Die polnischen Versager rufen zum Bekenntnis zur Unzulänglichkeit auf, jenseits des Terrors der Vollkommenheit. Da die Freunde, die sich als polnische Emigranten Ende der achtziger Jahre in Westberlin kennengelernt haben, überwiegend Kulturschaffende sind, schließt dieses Bekenntnis das eigene künstlerische Werk mit ein. Im Vereinslokal werden eigene wie fremde Ergebnisse dieses unvollkommenen Schaffens dargeboten: Bildende Kunst, Musik und Literatur: „Man darf keine Angst mehr davor haben, vom Herzen zu sprechen", schließt Herman seinen Artikel in Kolano, „sogar dann, wenn nur lauter Dummheiten" herauskommen. Scheinbare Dummheiten?

Die Idee ist sympathisch, wenn auch die derzeit ausgestellte Kunst - eine Installation, die plätschert, sich bewegt und Töne von sich gibt ­ keinen wesentlich bahnbrechenderen geistigen Funken versprüht als andere Kunstinstallationen, die in Mitte herumstehen und durch Klänge, Blinken oder sonstiges auf sich aufmerksam machen. Trotz der Kunst steht keine Warnung im Raum: Achtung, hier Galerie. Die Betreiber sind freundlich und unaufgeregt. Der Klub richtet sich selbstverständlich an polnische Gäste wie an Besucher jedweder anderer Staatsbürgerschaft.

Die Gefahr am Klub der polnischen Versager ist, daß das Bekenntnis zum Tolpatsch, zum Pechvogel, zum „nieudacznik" (wörtlich: „der, dem nichts gelingt" – wobei dieses Wort im Polnischen nur als Negation existiert) zu sympathische Assoziationen hervorruft. Ein kluger Gedanke sollte wenigstens so sperrig daherkommen, daß er die Auseinandersetzung einfordert, die er verdient. Die polnischen Versager lassen sich von Szenegängern und Medien zu schnell belächeln und ad acta legen. In direkter Nachbarschaft zum „Kaffee Burger" werden sie schnell populär werden. Spätestens seit Kaminers erfolgreicher Russendisko gefallen östliche Zuwanderer hier ohnehin. Möglicherweise wird das Anliegen, einen Gedanken zu vermitteln, so eher unterlaufen, denn befördert. Bereits jetzt wurden die polnischen Versager in Alfred Bioleks Fernsehshow eingeladen! Das Angebot überraschte und löste einen Streit aus – die Mehrheit entschied sich für Biolek. Vereinsmitglied Thomasz Sosinski bedauert das: „Man erreicht zu viele Menschen, die sich nicht für uns interessieren. Die Spaßgesellschaft wird sich eine weitere Skurrilität leisten."

Tina Veihelmann

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