Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Skorpione und Taranteln

Seit 287 v.u.Z. wurde die politische Autonomie einer Opposition nie wieder erreicht ­ Fallbeispiel Berlin

In der römischen Republik lag die exekutive Gewalt in der Hauptsache in den Händen zweier durch die Patrizier ernannter Konsuln. Die städtischen Handwerker und Tagelöhner, die Plebejer blieben ausgeschlossen. Praktische Macht kam ihnen dennoch zu: Entscheidungen, die ihnen nicht paßten, begegneten sie mit der sogenannten Sezession. Hierbei legten die Plebs ihre Arbeit nieder, zogen sich auf einen heiligen Berg zurück und lebten nur unter sich. Auf diese Weise ließen sich neben konkreten wirtschaftlichen Vorteilen auch garantierte Rechte durchsetzen. Die Plebs hatten eine eigene Gesetzgebung und gewählte Volkstribunen, die gegen Beschlüsse der Patrizier Einspruch einlegen und deren Wirksamkeit sogar auf die Aristokraten beschränken konnten. Mit der letzten großen Sezession im Jahre 287 vor unserer Zeitrechnung gelang der Einbruch in die Machtinstitutionen der römischen Republik. Das sollte sich aber bald als Pyrrhussieg erweisen: Die Integration in die Institutionen wurde mit der Einbuße der Autonomie erkauft, was einen Verlust der vorherigen negativen Macht, also oppositioneller Handlungsfähigkeit bedeutete. Der Institutionalisierung der Klassenkonflikte folgte der Untergang der republikanischen Freiheiten.

So gesehen sollte man heute froh sein, daß die PDS bis auf weiteres von der Regierung in der Stadt ausgeschlossen bleibt. Jedenfalls wenn man von der PDS ein Eintreten für die heutigen „Plebejer" erwartet. Allerdings ist die PDS ­ für wen auch immer sie steht ­ ohnehin keine wirdeständige Kraft, sondern eine Partei. Sie ist noch nicht einmal richtig Opposition, sondern eher Regierung im Wartestand. Die Entscheidung für eine Ampel-Koalition in Berlin schließt die PDS von der Macht aus . Sie zeigt, indem Ostberlin schlichtweg ignoriert wird, ein unbeirrtes Festhalten an der Westdominanz und führt so den Geist der Wiedervereinigung als Annexion der DDR konsequent fort. Das ist zweifellos ungerecht. Allzu groß kann der Leidensdruck in Ostberlin aber dennoch nicht sein, jedenfalls hat es bisher noch nicht einmal den Versuch gegeben, einfach mal ordentlich auf den Putz zu hauen. Warum zum Beispiel macht die PDS nicht einfach Druck auf der Straße oder droht mit Wahlboykott und Kommunikationsverweigerung? Das würde in unserer Pseudo-Konsensgesellschaft seine Wirkung sicher nicht verfehlen. Stattdessen beklagt man sich über eine Vertiefung der Spaltung der Stadt und ist hauptsächlich beleidigt, daß man schon wieder nicht richtig mitspielen darf beim großen Spiel der Skorpione und Taranteln. Was hat überhaupt eine Partei, die sich sozialistisch nennt, in einer Koalition mit einer Partei verloren, die ausdrücklich keine Politik gegen die Wirtschaft ­ gemeint ist: gegen die Interessen des Kapitals ­ machen will? Was für ein Sozialismus soll denn das schon wieder werden?

Wenn es um Opportunismus und gespaltene Zungen geht, kommt man (auch?) an den Grünen nur noch auf Kosten völliger Ignoranz vorbei. Wäre Berlin nicht eine der traditionellen Hochburgen der Partei, feierte sie jetzt wohl die Rückkehr in die außerparlamentarische Opposition. Es ist noch nicht lange her, daß die rot-grüne Bundesregierung diejenige Österreichs aufgrund der Beteiligung der rechtsextremen FPÖ als Paria Europas behandelt und einen immensen politischen Druck gegen das kleine Land nördlich Sloweniens aufgebaut hat. Der künftige Koalitionspartner FDP ist zwar nicht identisch mit der FPÖ, hat aber gerade in Berlin einen äußerst starken nationalliberalen Flügel, dessen Vorbild der Österreicher Haider ist. Mitte der neunziger Jahre versuchte eine Gruppe um den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl (der im Hamburger Wahlkampf für die Partei Rechtsstaatliche Offensive des Richters Schill warb), in einer Kampfabstimmung die Führung der Partei zu übernehmen, und verlor mit 114 zu 170 Delegiertenstimmen. Die Bezirksverbände Spandau und Neukölln sind weiterhin auf stramm rechtem Kurs, während das ebenfalls nationalliberal dominierte Tempelhof inzwischen mit Schöneberg vereinigt und damit vorerst entschärft wurde. Zwei der Hauptdrahtzieher des damaligen Übernahmeversuchs, Axel Hahn aus Neukölln sowie der Spandauer Wolfgang Mleczkowski, gehören der 15köpfigen neuen FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus an. Den Grünen scheint das inzwischen völlig egal zu sein. Zu lange schon mußten sie in Berlin zusehen, wie sich nur die anderen bereicherten.

Gerade die Mutation der Grünen, die Anfang der achtziger Jahre angetreten waren, einer starken außerparlamentarischen Bewegung Schützenhilfe aus den Institutionen zukommen zu lassen, sollte alle Illusionen, auf diesem Weg eine gerechtere Gesellschaft erreichen zu können, endgültig zerstört haben. Auffällig ist besonders, daß, je mehr sich die Grünen in den Parlamenten und Regierungen festgesetzt und integriert haben, desto weniger von der einstigen Bewegung übrig blieb. Es ist eben bequemer, sich einfach vertreten zu lassen und darauf zu hoffen, daß die Parlamentarier es schon für einen richten. Nachdem die Grünen für diese Rolle nicht mehr taugen, bleibt nur noch die PDS. Aber wer glaubt schon ernsthaft daran, die PDS hätte sich an Stelle der Grünen anders verhalten und zum Beispiel die Bundeswehr nicht in den Krieg geschickt? So gesehen wäre es doch wünschenswert, die PDS nicht nur in Berlin in der Regierung zu sehen. Dann wäre das klargestellt und man könnte sich um Wichtigeres kümmern.

Dierek Skorupinski

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  Ausgabe 11 - 2001