Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Ohne Hefe, hart wie Zwieback

Berliner Backwaren, sie sind in aller Regel ungenießbar; für die Zugezogenen zunächst ein Choc, von den hier Akklimatisierten irgendwann, von den Eingeborenen sowieso mit Gleichmut ertragen. Was soll man auch machen? Das Dilemma ward einige Jahre von einem vordergründigen Disput über Ost- bzw. Westschrippen verdeckt ­ eine müßige Auseinandersetzung, ging es doch eh nur um die Wahl zwischen Pech und Schwefel. Im fernen Wilmersdorf soll es zwar eine akzeptable Bäckerei geben, aber wer fährt mittags zum Brötchenholen schon durch die halbe Stadt? Man findet dann doch nur den Weg zum nächsten „Back-Bär" ­ und resigniert irgendwann.

Andreas Zandonai, Bäckermeister in Moabit und einmal bereits Bezirkssieger Tiergarten beim Innungswettbewerb der Berliner Bäcker, macht nun einmal mehr mit ungenießbaren Backwaren Furore. Am 31. Oktober überreichte Zandonai, der auch gerne Bären bäckt, Joachim Zeller, dem Bezirksbürgermeister von Mitte, ein 60 cm hohes Roggenwappen, „aus einem Teig ohne Hefe, hart wie Zwieback und wegen der Kontraste mit Mais versetzt", wie das Rathaus Mitte mitteilt. „Ungenießbar und nicht genehmigungsfähig" (im Gegensatz zu seinen Schrippen, die ja wohl genehmigungsfähig sind) ist das Wappen und soll „Bürgerinnen und Bürger" daran erinnern, „daß ein Wappen jetzt wieder zum täglichen Brot des Citybezirkes gehört". In der Feierstunde an Halloween, auf der sich der Moabiter mit seinem ungenießbaren Roggenteil wichtig machte, erhielt der Fusionsbezirk nämlich sein neues offizielles „Hoheitszeichen" ­ womit zumindest eines, wenn auch das mit Abstand unwesentlichste Problem im Gefolge der unseligen Bezirkszwangsvereinigung gelöst wurde: Beendet ist nun der Zustand der Wappenlosigkeit; das Chaos und die eklatanten Verschlechterungen im Bürgerservice, sie bleiben natürlich.

Mittels „heraldischer Verschlüsselung", so die Formel für den symbolischen Primitivismus beim Wappenbacken, werden drei Aspekte von Mitte artikuliert: Daß 1. auch der neue Bezirk dieses Namens mehr oder weniger in der Stadtmitte liegt, daß sich dort 2. die Bundesregierung breitgemacht hat und 3. (vermittels eines bewaffneten Bären): daß in Mitte die Wurzeln dieser Stadt ohne Backkultur liegen.

Peter Stirner

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 11 - 2001