Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin erfinden

Die Stadt krankt weniger an sich selbst, als an ihren „Visionären"

Ein beliebtes Thema für Schulaufsätze zu Zeiten des alles verwesenden „Sozialismus" im ostdeutschen Gefilde war bis in die siebziger Jahren: „Wie ich mir mein Leben im Jahr 2000 vorstelle". Anläßlich solcher Gelegenheiten hatte der zünftig vom Leninschen Kommunismus durchseuchte Jugendliche (also jeder der in der DDR Aufgewachsenen) die Chance, wild herumzuphantasieren: etwa „die größte und schönste Hauptstadt der DDR" Berlin zur größten und schönsten Hauptstadt eines vereinigten, sozialistischen Deutschland hochzuirisieren, wenn nicht gar ­ neben Moskau ­ zur zweiten Hauptstadt einer Welt zu erklären, die kurz vor der Vollendung des Kommunismus steht.

Bald nach dem Mauerfall kam es zu einer Neuauflage von solch utopisierenden und sich nicht weniger staatstragend gebenden Phantasmagorien: Nach dem Sieg des Kapitalismus über den realexistierenden Wasweißich und der Wiedervereinigung wurde von maßgeblichen Berliner Feuilletonisten ­ und ebenso von Politikern, Stadtplanern, Immobilenmaklern ­ erklärt, die Stadt würde nun wieder Metropole, eine „global city" ­ und sowieso alles gut. Jede erdenkliche, auf jeden Fall nicht wirklichkeitskompatible Rederei ward erhört: Bis zur Jahrtausendwende rechnete man mit einem Bevölkerungszuwachs um mindestens eine Million Einwohner: macht insgesamt 4,5 Millionen Berliner ­ der Zuwachs allein steht für eine Weltstadt. Und sowieso: Berlin wüchse heran zu einer „Stadt des Wissens", einer „Ost-West-Drehscheibe", einem „intellektuellen Zentrum" und einer (gebetsmühlenartig wiederholt:) Metropole, ja, nochmal: Metropole ­ vergleichbar mit New York, London, Paris. Und also würde sie natürlich sein wie jede andere Metropole oder eigentlich noch viel besser und schöner ­ innovativ, kreativ, dynamisch: neue Medien, neue Technologien, eine brodelnde Kunst- und Literaturszene und eine Jugendkultur wie nirgendwo sonst (: die Love Parade) ­ Metropolis. Als die Hauptstadtentscheidung pro Berlin ausgefallen war, kannte die Euphorie keine Grenzen mehr: Nach der Ausrufung der „Berliner Republik" wurde die Stadt endgültig zum intellektuellen Spekulationsobjekt einer Halbelite, die zuvor eigentlich nichts zu sagen hatte. Und besser auch nichts zu sagen haben sollte.

Im fröhlichen Furor der Selbstüberhebung glaubte Berlin ­ frei jeglicher Zweifel ­ den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2000 zu erhalten, scheiterte aber einerseits an der Unfähigkeit der eigenen Manager, andererseits am Unwillen der übrigen Welt, diese Stadt als Weltstadt anzuerkennen, oder richtiger noch: als eine Stadt, die fähig ist, solche Spiele auszurichten. Die Berliner Politiker sind jedoch überzeugt, daß die Welt damals noch nicht reif genug gewesen sein muß, die Prädestination der Stadt für die Austragung der Olympiade anzuerkennen. So erklärte kürzlich der oberste Hauptstadtverwalter Wowereit, Berlin wolle sich für 2012 neuerlich bewerben.

Das Projekt eines „Internationalen Großflughafens" in Berlin-Schönefeld ist eben derselben Macht der Imagination geschuldet: Einwände, ein Großflughafen bedürfe ­ wie in der ganzen Welt ­ aus Rentablitätsgründen eines Einzugsgebiets von wenigstens fünfzig Millionen Menschen, wurden forsch beiseitegewischt. Was nicht ist, kann ja noch werden.

Stichwortgeber für die Politik sind die allgegenwärtigen Meinungsmacher der „Metropole". Immer mittenmang, wenn das Halali auf das alte Berlin („die geteilte Stadt") geblasen wird, Dieter Hoffmann-Axthelm, erster Rottenführer, und Klaus Hartung, dauerhalluzinierendes Medium des „Neuen Berlin". Sie erklären das Berlin, wie es bestand bzw. noch immer besteht, zu einem Un-Ort, der via Hartungscher „Visionen" oder Axthelmscher „Schönheitsideale" erst wieder lebenswert gemacht werden müßte. Um ihren „Visionen" Mehrheitsfähigkeit zu verleihen, delirieren sie mal eben ein selbstverantwortliches Bürgertum, die sogenannten Urbaniten, als Träger ihrer Ideen herbei. Auf solch einfache Weise gelingt es, wirre Hirngespinste zu Realitäten umzuformulieren: „Das muß so sein, das wird so sein." (Hartung)

Das Bezugssystem der meisten Apologeten des „Neuen Berlin" ist – selten kaschiert – selbstbewußt revisionistisch: Es geht um die Wiedererweckung der „Goldenen Zwanziger." FAZ-Redakteur Mark Siemons schreibt: „Die Neuerfindung der Vergangenheit konzentriert sich auf den Berliner Metropolenmythos, den zur Zeit auch das Stadtmarketing sowie zahlreiche Bücher und Artikel pflegen. Alles soll wiederkehren, wie es in den zwanziger Jahren war: die Salons, die Russen, die Feuilletons, die Juden, das aufregende Theater, die intellektuelle Metropolenkultur."

Das fortwährende Faseln von der Metropole, der global city hat vielleicht nicht viel mit der Wirklichkeit der Stadt zu tun, immerhin sorgte es dafür, daß bei einer Emnid-Umfrage im vorigen Jahr eine stattliche Mehrheit der Befragten Berlin für die führende Wirtschaftsmetropole Deutschlands hielt. Immerhin. Und wenn wir alle ganz fest dran glauben, wird das auch mal was: in vierzig, fünfzig oder hundert Jahren: die Stadt als Wille und Vorstellung.

Gertrude Schildbach

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