Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
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Neubeginn in alten Mauern

Zwischen Avantgarde und wirtschaftlicher Tragfähigkeit: das „Künstlerlabor" Schloß Bröllin

„Du kannst alles schaffen", brüllt der kahlköpfige Anzugträger, und seine Gefährten wiederholen jedes Wort mit dem Eifer eines Managerseminars. Zwar befinden wir uns keineswegs in einem Trainingscamp für die wirtschaftliche Elite, doch könnte ein wenig kommerzielles Denken dem Schauplatz dieses Artikels kaum schaden: Schloß Bröllin, 800 Jahre alter Reiterhof in der Uckermark, ehemals LPG, und nun seit zehn Jahren ein „Testlabor" für darstellende Künstler, feierte sich im September selbst ­ mit zwei Symposien und einer Performance-Revue, aus der auch das obige Zitat stammt.

Geschafft haben die rund 70 Mitglieder des Vereins Bröllin e.V. so einiges: Als Anfang der neunziger Jahre die Mieten für Proberäume in der Hauptstadt unerschwinglich wurden, entdeckten Künstler um Arthur Kuggeleyns RAMM-Theater das rund zwei Stunden entfernte, brachliegende Gehöft. Mit vereinten Kräften gelang es den Kreativen und ihren Freunden, einen Pachtvertrag zu bekommen und das 50000 Quadratmeter große Areal bewohnbar zu machen. „Die Leute aus dem Dorf hatten am Anfang fast Angst vor uns Spinnern aus Berlin", erinnert sich Katharina Husemann, bis heute einer der „guten Geister" von Bröllin. Im Lauf der letzten zehn Jahre ist viel passiert: In den Ateliers und auf den Probebühnen tummelte sich die internationale Szene, die sich auch durch technische Probleme und katastrophale sanitäre Verhältnisse nicht abschrecken ließ. Zum festen Künstlerstamm kamen neben Kuggeleyn noch die Butoh-Gruppe Ten Pen Chii, das Theater Ziguri Ego Zoo und das Orphtheater hinzu, deren Produktionen alle von Bröllin geprägt sind. „Eine Gruppe, die es schafft, hier ein Stück auf die Beine zu stellen, kann eigentlich alles verwirklichen", sagt Gerd Oberfeld, der das Anwesen zur Zeit als „Krisenmanager" betreut.

Nun soll der alternative Pioniergeist wirtschaftlicher werden. Im vergangenen Jahr hat der Verein das Schloß gekauft und kann nun auf Fördermittel von rund 1,5 Millionen Mark zurückgreifen. Geschäftsführer Peter Legemann, der wie Oberfeld und Husemann seine Arbeit unentgeltlich macht, hat große Pläne. „Wirtschaftliche Tragfähigkeit" heißt das Zauberwort. Schon heute ist Schloß Bröllin durch mehrere ABM- und Zivistellen in die Arbeitszusammenhänge der Region integriert. Jugendprojekte mit den baltischen Staaten oder Schülern aus Marzahn haben eine soziale Komponente gebracht. Im November wird in Rostock darüber entschieden, ob der Schloßpark zur Außenstelle der IGA werden kann. Außerdem sollen Tonstudios und ein neuer Tanzboden angeschafft werden, um jungen Künstlern mehr Raum zu geben. Austauschprogramme mit dem nahen Polen und Aufenthaltsstipendien für neue Gruppen sollen frischen Wind bringen.

Vor allem fehlt dem Schloß Bröllin aber ein klares künstlerisches Konzept. Die groben Linien stehen fest: Ein Drittel der Räumlichkeiten soll Gästen offenstehen, ein Drittel den „Stammgruppen", der Rest ist für interdisziplinäre Projekte reserviert. Außerdem könnte ein Gastronomiebetrieb das Gelände finanziell absichern.

„Nur ein von allen akzeptierter künstlerischer Leiter kann dem Hof ein Profil geben, das sich auch vermarkten läßt", formuliert Vorstandsmitglied Dr. Eckehardt Binas die Problematik: „Wir müssen versuchen, die künstlerischen Prozesse in Management zu übersetzen."

Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Zu stark ist die Tradition des Kollektivs in Bröllin, zu groß die Angst der Künstler „wegkommerzialisiert" zu werden. Vielleicht sollte der künstlerische Leiter von außen kommen und nicht aus dem Kreis der Alteingesessenen.

Frank Weigand

E Bildende oder darstellende Künstler, die an der Neupositionierung teilhaben wollen, sollten sich bis zum 15. Oktober um ein Stipendium bewerben. Projektantrag mit Budgetaufstellung an die folgende Adresse:

Schloß Bröllin International Theatre Research Location, z.Hd. Katharina Husemann, Dorfstr.3, 17309 Bröllin.

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