Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Im süßen Duft der Apathie

Roland Lampe erzählt von Angepaßten und Verletzten

The first cut ist nicht immer the deepest, und so wurde die Titelgeschichte von Roland Lampes Débutband Der Besuch der Tante vielleicht gerade deshalb als Entrée in die bunte Typen- und Geschichtenwelt des Erzählers plaziert, um dem Leser nach der Lektüre des Pflichtprogramms noch ausreichend Raum für die Kür zu lassen. Denn eben diese Anpassung, die der Besuch der Tante aus dem ehemals bösen Land der „sogenannten Ausbeuter und Unterdrücker" erfordert, wird in anderen Erzählungen bewußt konterkariert. Roland Lampes Helden sind keine Helden, es sind die Leisen und Angepaßten, die jede Wende und Wendung überleben. Aber da sind auch die Verletzten und Verletzlichen, die sich der Allmacht der Ämter und sonstigen Zwängen ohnmächtig ausgeliefert sehen und daran zerbrechen. Das sind zumeist blasse junge Männer, bekennende oder heimliche Poeten, manche mit Schreibhemmungen, Alkohol- oder anderen Problemen: Hermann, der Verlagsvertreter, Rückert, der junge Dichter und Grübler Lenz, Georg, Amandus, Alwin, Herr Zank... Das Spiel, das die Protagonisten der Stories spielen, heißt allzu oft Rückzug, verliebtes Verharren im süßen Duft der Apathie. Bei so viel Larmoyanz tut es dann sogar gut, wenn Hausmann das Lokal, in dem seine ehemaligen Mitschüler beim Klassentreffen sitzen, anzündet, um sich für einstige Demütigungen zu rächen.

Viele Geschichten handeln von solchen und anderen Ereignissen, von den Sehnsüchten der Menschen, sich von der grauen Masse zu unterscheiden, und natürlich auch (immer wieder) davon, ein berühmter Schriftsteller zu werden. Eine Praktikantin bemängelt, daß eine Geschichte, die der in sie verliebte Verlagsvertreter ihr vorliest, sich nicht aus der Perspektive des Ich-Erzählers löst. Ihre Hoffnung: „Vielleicht wäre sie aus objektiver Sicht erzählt spannender." In dem Band löst sich der Erzähler nur einmal aus dieser Perspektive, um ­ völlig unglaubhaft und unmotiviert ­ in die Rolle eines „Wessis" zu schlüpfen. Das Happy End passiert irgendwo in der Mitte des Buches: Der Romanschreiber Zank wird berühmt ­ aber nur, weil er 120 Jahre alt wird.

Rainer Bratfisch

Roland Lampe: Der Besuch der Tante. Qwertz-Verlag, Berlin 2001. 24,80 DM

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