Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Zwischen Absturz und Kommerz

Am Anfang des Punk stand ein radikaler antiautoritärer Aufbruch

Wenn von Punk die Rede ist, fallen den meisten wohl die bunthaarigen Penner ein, die bettelnd mit ihren Hunden die U-Bahnhöfe dekorieren oder knülle im Park vor sich hinvegetieren. Dabei war Punk anfangs alles andere als unterwürfig, sondern ein kaum zu überhörender Aufschrei großer Teile der englischen Jugend, der musikalische Ausdruck von Rebellion und Verweigerung. Entstanden war die Bewegung aus einer Rockkultur, die sich Mitte der 70er in Londoner Pubs entwickelt hatte und an die Ursprünge des Rock anknüpfte. Damalige Stars wie die Rolling Stones oder Genesis hatten sich völlig von ihrem Publikum abgekoppelt. Daher war eine der wesentlichen Ideen des Punk die betonte Nähe zwischen Publikum und Band, bis hin zur Austauschbarkeit. Es sollte keine Stars mehr geben, und jeder, dem etwas nicht paßte in der Welt, war aufgefordert zur Gitarre zu greifen und seine Wut hinauszuschreien.

Dieser stark anarchistisch geprägte und gegen die Musikindustrie gerichtete Ansatz hatte allerdings nicht lange Bestand. Mit der erfolgreichen Selbstinszenierung der Sex Pistols zu den Bösewichten der Nation entwickelte sich Punk schnell zur Massenbewegung. Die Sex Pistols standen aber ausschließlich für Provokation und Zerstörung, besonders für Selbstzerstörung. Entsprechend geprägt war ihr Publikum. Aber auch viele andere wegweisende Gruppen der ersten Stunde, wie The Dammned, Siouxsie and the Banshees, X-Ray Spex und die damals als besonders radikal geltenden Clash brachten ihre ersten Platten bei den Musikmultis heraus und verloren damit stark an Glaubwürdigkeit. Bereits 1978 beschrieb deshalb Crass in ihrem Stück Punk is dead den Niedergang des Punk. Dafür ernteten sie heftige Angriffe. Besonders das Sprachrohr der grölenden Saufpunks, The Exploited, tat sich dabei hervor und verkündete Punk is not dead. Punk war nicht tot, bloß anders.

Gerade aber Bands wie Crass oder auch Poison Girls und Conflict waren es, die an den ursprünglichen Punk-Idealen festhielten. Die Existenz einer durch die Vermarktung der Musikindustrie erst richtig groß gewordenen Punk-Anhängerschaft war dabei sicherlich förderlich. Diese sich selbst Hardcore Punk nennende Strömung spitzte den Do-it-youself-Ansatz noch weiter zu und brachte sämtliche Platten auf eigenen Labels selbst heraus. Die Musik war weiterhin in erster Linie Punk, allerdings oft noch schneller und noch härter. Die Texte waren meist ein wütender Angriff auf die herrschende Politik und forderten dazu auf, sich zu widersetzen, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen und eine starke Gegenkultur aufzubauen, um so eine befreite Gesellschaft zu erreichen. „Es wird Zeit, daß wir aufhören, immer nach Entschuldigungen zu suchen und wirklich versuchen, etwas zu tun. Es bringt nichts, auf der Straße abzuhängen und zu jammern, daß nichts passiert. Es liegt in Eurer Verantwortung. Ihr habt nur ein Leben, also lebt es. Warum sollen wir ein Leben als Sklaven des Systems führen, als Futter für die Fabriken, Büros und Schlachtfelder?"(aus einem Flugblatt von Crass, Total Chaos = Total Shit, London 1980) Crass beließ es aber nicht bei Apellen. Sie beteiligten sich zum Beispiel praktisch wie finanziell am Aufbau eines Anarchistischen Zentrums in London und spielten bis zur Auflösung der Band 1984 fast ausschließlich auf Demonstrationen und Benefiz-Konzerten.

Etwa zu dieser Zeit koppelte sich Hardcore endgültig vom Punk ab. In Westdeutschland lag das zum größten Teil daran, daß die Exploited-Punks sämtliche Konzerte in ein Scherbenmeer verwandelten. Hardcore geriet aber schnell in den Sog amerikanischer Vorbilder. Der ehemalige Punk und spätere Hardcore-Musiker der Militant Mothers, Karl Nagel sagt dazu: „Und trotzdem fühlte ich mich in dieser Hardcore-Szene nie zu Hause. Plötzlich wurde der kommerzielle Erfolg einer Band ein wichtiger Antrieb, die Aussagen der Bands gerieten zu egozentrischem und pseudogesellschaftskritischem Gequatsche."

Einen anderen Weg ist die heute noch existierende holländische Gruppe The Ex gegangen. Begonnen hatten sie als Punkband in der Hochphase der Amsterdamer Kraakerbewegung. Ähnlich wie in Westberlin, waren auch dort die besetzten Häuser eine Art Schnittstelle zwischen Punks und Autonomen. So verstehen sich The Ex als „geräuschvoller Teil der autonomen Bewegung". Grundsätzlich gehen sie davon aus, daß jede kulturelle Ausdrucksweise einen politischen Charakter hat, weshalb auch Lärm eine Aussage hätte. Im Vergleich zu anderen Punk- oder Hardcore-Bands waren The Ex musikalisch immer bedeutend experimentierfreudiger und anderen Einflüssen gegenüber offener. Auf diese Weise kam es zu Auftritten und gemeinsamen Platten mit Musikern aus völlig anderen musikalischen Traditionen, wie dem New Yorker Cellisten Tom Cora. „Das Image, das wir haben, das uns die Leute gegeben haben, ist völlig entgegengesetzt. Aber wer genauer hinschaut, der sieht viele Übereinstimmungen in den grundlegenden Ideen." (Tom Cora)

Dirk Rudolph

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