Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Spree-Adé

Foto: Steffen Schuhmann

Direkt am Kreuzberger Spreeufer in der Nähe der Schillingbrücke: Neben seinem Wohnwagen repariert ein schon angegrauter Mann ein Fahrrad, „um etwas zu verdienen." Er ist ein Bewohner der Wagenburg „Schwarzer Kanal". Er weiß auch schon, wie das Spreeufer in naher Zukunft aussehen soll. Gegenüber am anderen Ufer kündet ein großes Transparent am architektonisch schlicht gehaltenen zwölfgeschossigen Neubau: „Traumwohnungen zu verkaufen". An seiner Reaktion ist zu erkennen, daß dieser Traum nicht seiner ist. Neben seinem Ärger über den Neubau hat er Angst um das Schicksal der Wagenburg, die hier schon seit der Wende existiert.

Von der Oberbaumbrücke bis zur Jannowitzbrücke fließt die Spree bisher recht unbeachtet dahin, vorbei an wuchernden Uferböschungen und verwilderten Industriebrachen. Ihre treuesten Fans in diesem Bereich sind Angler und einige Unerschrockene, die keine Hemmungen haben, Schilder mit der Aufschrift „Privatgelände" oder „Unbefugten ist das Betreten verboten" zu ignorieren.

Daß diesen Flächen früher oder später eine beplante und bebaute Zukunft bevorstünde, war keine allzu gewagte Prophezeiung. Jetzt scheint es für einige Grundstücke soweit zu sein. „Media spree" heißt die „blühende Landschaft", die nach Vorstellung von Investoren und Wirtschaftsförderung Berlin den Charakter des Ufers komplett verändern soll. Auf einer Gesamtfläche von etwa 120 Hektar, wird laut Eigendarstellung ein „Medien- und New-Economy-orientiertes Kompetenzzentrum" entstehen. Insgesamt sollen dafür fünf Milliarden Mark investiert werden, um damit auf 1,3 Millionen Quadratmetern Bruttogeschoßfläche Gewerbe und Dienstleistungen, Parks, Gastronomie, Entertainment, Hotels und Wohnungen an die Spree zu bringen. Vorbild ist die „Oberbaum City", denn das Medienzentrum an der Warschauer Straße im ehemaligen Glühlampenwerk wird als erfolgreiches Konzept gefeiert. Grundlage der Euphorie ist ein Gutachten der Firma Regiokonsult, die für Gesamtberlin ein Potential von 30000 Arbeitsplätzen in der Medienbranche prognostiziert. Der Flächenbedarf hierfür läge bei 500000 Quadratmeter. Es ist fraglich, ob dieses Konzept in dieser Dimension wirklich vermarktungsfähig ist, ohne daß es zu einem eklatanten Büroflächenüberschuß kommt. Die geplante Media spree ist achtmal so groß wie der Potsdamer Platz und hat eine Bruttogeschoßfläche von zehn Sony-Centern.

Das größte Einzelprojekt ist der ehemalige Ostgüterbahnhof. Herzstück der Planungen für das Gelände nördlich der Mühlenstraße, zwischen S-Bahnhof Warschauer Straße und Ostbahnhof ist die Anschütz-Arena ­ eine gigantische Veranstaltungshalle für 18000 Besucher. Außerdem sollen mehrere je 120 Meter hohe Wolkenkratzer in den Himmel ragen. Während Senat und Bezirk über die mögliche 500-Millionen-DM-Investition hoch erfreut sind, erscheint sowohl die Höhe der Hochhäuser, die bauliche Dichte und vorallem das Verkehrskonzept für die Besucher der Riesenhalle städtebaulich problematisch. Die Frage wird sein, wie wichtig Senat und Bezirk diese Halle ist und wie weit sie auf Grund dessen den Forderungen des Investors entgegenkommen werden. Grundstückseigentümerin ist die Deutsche Bahn, die sich ebenso am Wriezener Bahnhof am RAW-Gelände und der Revaler Straße ­ beides Orte in unmittelbarer Nähe ­ daran versucht, marktgerechte Verwertungsmöglichkeiten zu finden.

Ein weiteres Großprojekt ist das Areal rund um den Ostbahnhof. Neben den „City Carrees" im Osten des Bahnhofs, soll auf dem Gelände des ehemaligen Postbahnhofs aus dem Nichts ein neues Stadtquartier auf 42000 Quadratmeter entstehen. Sein „historischer Kern" soll der restaurierte Postbahnhof, samt Vorplatz werden ­ und drumherum die bewährte quadratisch-praktische Architektur. Laut der Verheißung des „Regionalen Entwicklungskonzepts Wirtschaftsstandort Spreeraum Friedrichshain" soll die „starke 'lokale Erdung' und Bezug zur Identität des ehemaligen Postbahnhofs" sowie „faszinierende Freizeit- und Erlebniseinrichtungen im Ambiente historischer und moderner Architektur zur Entwicklung dieser neuen Adresse in Berlin beitragen." Woher das Projekt seine „lokale Erdung" beziehen soll, wird nicht erklärt. Dafür hat man einen markigen Namen für das Quartier gefunden: Urban Center Postbahnhof.

Gegenüber dem Ostbahnhof, direkt am Spreeufer, sind weitere Schmuckstücke geplant: ein kleiner Park, ein Spree-Foyer, ein Büro- und Geschäftshaus sowie das bereits im Bau befindliche „Zentrum Zukunftsenergien Berlin/Internationales Solarzentrum". Weiter Richtung City baut Axel Schultes nach seinem filigranen Kanzleramt nun ein welliges Hochhaus. Auf Kreuzberger Seite sind die Industriebrachen bislang noch weit weniger verplant. Der „spreeport", Standort der Wagenburg, und das Behala-Gelände mit dem Victoriaspeicher sollen „Brückenkopf" für die Schillingbrücke werden. Hinter der Oberbaumbrücke sollen die Cuvry-Höfe (vormals Botag-Center) entstehen.

Obwohl hier ein Gebiet in einer solchen Größenordnung neuen Nutzungen zugeführt wird, fehlt eines: eine entsprechende Diskussion in der Öffentlichkeit. Das Bauamt ist seit zwei Jahren durch die Flut von Bauanträgen überfordert und schafft es kaum, die Vorhaben fristgerecht zu prüfen. Die Projekte können so mit Unterstützung des Senats ohne große Probleme „durchgewunken" werden, schließlich geht es auch für die Stadt Berlin um Geld, Image und natürlich um Arbeitsplätze. Was es nicht gibt, ist ein Forum, in dem alle Interessenten Nutzungsmöglichkeiten für Spreeufer entwickeln können ­ das ein einzigartiger öffentlicher Bereich sein könnte. Einen Ansatz dazu bot Ende 1999 eine Planungswerkstatt des Stadtteilausschusses Kreuzberg. Kinder, Bürger, Vereine, Initiativen und Vertreter der Bezirksämter aus Friedrichshain und Kreuzberg machten sich Gedanken über den gemeinsamen Spreeraum. Die Idee, „die Spree als Besinnungsort/Begegnungsort" mit einer verbindenden Funktion für die Bewohner zwischen Kreuzberg und Friedrichshain zu integrieren, wurden seitens der Bezirke zwar interessiert verfolgt, aufgegriffen wurden sie jedoch nicht. An eine ernsthafte gemeinsame Umsetzung der Anregungen dachte niemand.

Eine neuer Vorstoß des Stadtteilausschusses ist nun die Einrichtung einer „Spreebox". Diese Box soll als zentrale Anlaufstelle über die Entwicklung des Gebietes informieren und gleichzeitig Schnittstelle für Bürger, Investoren, Bezirk und Vertreter des Viertels sein. Der Informationsaustausch soll die Projekte zum allseitigen Vorteil besser in den Kiez integrieren. Obwohl die Idee der Spreebox auf positive Resonanz bei Investoren und Bezirksamt stieß, zeichnet sich bis heute keine konkrete Unterstützung ab.

Das Spreeufer sei öffentlicher Raum für die Bewohner Kreuzbergs ­ mehr noch als für die Friedrichshainer, so beschreibt ein Mitarbeiter des Stadtteilausschusses die Bedeutung des Stadtraums am Wasser. Im Gegensatz zu Friedrichshain wird Kreuzberg nicht durch die Bahngleise von den Großprojekten getrennt sein, sondern wird deren Auswirkungen direkt im Kiez zu spüren bekommen.

Wie Bürgerbeteiligung in der Praxis aussieht, zeigt als ein weiteres Beispiel die Planung der Cuvry-Höfe. Das Grundstück nahe der Oberbaumbrücke liegt direkt gegenüber von Spreespeicher und Kühlhaus ­ bald Heimat des Musikriesen „Universal". Das geplante Einkaufszentrum Botag Center löste hier massive Proteste der umliegenden Einzelhändler, Anwohner aus. Gekippt wurde das Projekt jedoch nicht wegen der Anwohnerproteste, sondern weil das Wirtschaftsgutachten für die Konsumhalle nicht rosig aussah. Nun zieht der neue Projektentwickler, die Wert-Konzept GmbH, die ebenso das Kühlhaus und den Speicher betreut, einfach ein neues Konzept aus dem Hut. Passend zum Universal-Hauptsitz gegenüber planen sie im Wrangel-Kiez ein Vier-Sterne-Hotel, abgerundet durch eine Mischung aus Einzelhandel, Büros, Lofts und Wohnungen. Die Gäste könnten sich dann per Wassertaxi zu Terminen bei Universal oder anderen media spree Orten chauffieren lassen. Man nehme also den alten Botag Bebauungsplan, ersetze Botag durch Wertkonzept, füge eine kleine Zusatzvereinbarung an, die besagt, daß die öffentlichen Flächen und der geplante Uferweg von 0 bis 7 Uhr für die Öffentlichkeit gesperrt werden können und würze das Ganze bekömmlich: „Zur spannungsfreien Integration seines Vorhabens unterstützt der Vorhabenträger die Bestrebungen des Bezirks, eine kommunale Einrichtung für Jugend-, Sozial- und Kulturarbeit anzu bieten... im Umfang von ca. 200 Quadratmeter (für 12 Mark pro Quadratmeter)." Voilà, eine neue Bürgerbeteiligung ist nicht mehr nötig, die Baugenehmigung ist fertig, sogar noch ganz heiß.
Bon Appetit!

Martin Koch

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