Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin und der Terror

Das Gespenst des Überwachungsstaates

In den USA gibt es keinen Personalausweis. In Großbritannien wurde er, nach einer zwischenzeitlichen Einführung während des Zweiten Weltkrieges, 1953 wieder abgeschafft. In Deutschland wurde der Personalausweis 1936 von den Nazis eingeführt ­ und nie wieder abgeschafft. Im Gegenteil, neuerdings soll er auch noch mit einem Fingerabdruck versehen werden. Die Idee ist nicht neu: Ein Personalausweis, in dem neben Namen, Wohnung und Bild die Fingerabdrücke standen, wurde erstmals 1940 im faschistischen Spanien durchgesetzt.

Damals hätte Franco sagen können, was Otto Schily jetzt auch kundtut: „Niemand will jeden Schritt, jede Lebensregung eines Menschen überwachen. Das ist Gespensterseherei. Wer frei leben will, braucht Sicherheit vor Kriminalität und Terrorismus. Diese Sorge bewegt die Menschen und nicht die angestaubte Theorie vom angeblich allgegenwärtigen Überwachungsstaat." Aber kann ein Umschwenken des Staates auf die Parole „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", die Erhebung eines Generalverdachts gegenüber seinen Bürgern, nicht dazu mißbraucht werden, ungeahnte Kontrollen durchzuführen? Wie etwa die Absicht einer allgemeinen erkennungsdienstlichen Behandlung und damit einer vorauseilenden Kriminalisierung sämtlicher Bürger? Und wer ist so naiv zu glauben, daß einmal geschaffene Möglichkeiten nicht früher oder später genutzt werden? Es bleibt im übrigen dabei: Ein demokratischer, freiheitlicher Rechtsstaat vertraut seinen Bürgern und kontrolliert nur bei begründetem Verdacht. In der DDR freilich stand jeder unter Verdacht. Die Ergebnisse sind bekannt ­ oder vielleicht auch schon wieder in Vergessenheit geraten.

Ich glaube Otto Schily sogar, daß er nicht jede Lebensregung von Menschen überwachen will ­ aber ein paar mehr als bisher vielleicht? Und wenn die ihn nichts angehen? Weil es einen Schutz der Privatsphäre gibt ­ noch? Es soll auch nicht abgestritten werden, daß der Schutz vor Kriminalität und Terrorismus notwendig ist, um ein freies Leben zu ermöglichen. Wenn aber Anti-Terror-Maßnahmen einer umfassenden Kontrolle Tür und Tor öffnen, dann sind sie falsch.

Falsch sind diese Maßnahmen erst recht, weil sie gar nichts nützen. Aller Kontrolle zum Trotz hat es im Nationalsozialismus mehr als einen Anschlag auf Hitler gegeben. Also wozu dieser Personalausweis, wozu die Einschränkung des Bankgeheimnisses, d.h. des Zeugnisverweigerungsrechts durch Banken, wozu die Regelanfrage als Generalverdächtigung von Ausländern. Es gibt keine Argumente dafür. Es gibt nur das Spiel mit der Angst, mit „der Sorge der Bürger", es wird eine Trittbrettfahrerei mit Ressentiments (gegen Ausländer) betrieben, eine längst ersehnte Ausweitung der Steuerfahndung ermöglicht, durch die Hintertür. Ist das auch Gespensterseherei? Das Gespenst des Überwachungsstaates jedenfalls ­ geht auf Otto Schilys Anti-Terror-Vorschläge zurück.

Sicherheit ist eine Fiktion

Was Großstädte wie Berlin zu Großstädten macht, ist, daß sie Orte der Möglichkeiten sind. Möglichkeit bedeutet immer auch Unsicherheit. Der Versuch, umfassende Sicherheit zu schaffen, nimmt einer Stadt diese Qualität.

Doch eines ist sicher: Kaum etwas ist sicher. Durch die Sicherheitsmaßnahmen, die in Berlin ergriffen wurden, wächst gerade das Gefühl der Unsicherheit. Daß derartige Sicherheitsmaßnahmen gegen Terrorakte wie den in den USA keinen absolut wirksamen Schutz bieten können ist allen bekannt. „Das Pentagon ist gesichert wie eine Festung, gegen Autobomben wie auch gegen Raketenangriffe ­ aber nicht gegen ein Passagierflugzeug, das eine dreiviertel Stunde nach dem Start vom Internationalen Flughafen der Hauptstadt abrupt die Richtung ändert und in das riesige Gebäude auf dem weitläufigen Gelände kracht." (Spiegel, 15.9.01) Unsicher ist ganz besonders, was den Anschlägen der USA auf Afghanistan folgen wird. Wahrscheinlich sind wir jetzt gefährdeter durch die uneingeschränkte Solidarität mit einer Nation, die Völkerrecht immer wieder mißachtet. (Dies ist keine Solidaritätserklärung mit denjenigen, die die Anschläge auf die USA verübt haben.)

Solange das so bleibt und solange Globalisierung inner- und außerhalb der westlichen Staaten für wachsende Ungleichheit sorgt, müssen wir mit Widerstand, mit wachsender Gefahr rechnen. Solange die globale Ordnung undemokratisch ist und sie nur Mächtige und Ohnmächtige kennt, haben wir mit ohnmächtiger Gewalt, mit Terror zu rechnen. Da hilft kein Paß mit Fingerabdruck.

Arne Melzer

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