Ausgabe 09 - 2001 berliner stadtzeitung
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Bagel-Snack im Mausoleum

Zickzack: Notizen anläßlich der Eröffnung des Jüdischen Museums

Der Ausdruck „museal" hat im Deutschen unfreundliche Farbe. Er bezeichnet Gegenstände, zu denen der Betrachter nicht mehr lebendig sich verhält und die selber absterben. Sie werden mehr aus historischer Rücksicht aufbewahrt als aus gegenwärtigem Bedürfnis. Museum und Mausoleum verbindet nicht bloß die phonetische Assoziation.

Theodor W. Adorno

Zur Eröffnung des Jüdischen Museums am 9. September fand in der Philharmonie ein Konzert des Chicago Symphony Orchestra unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Berliner Musikinteressierte hatten keine Chance, Mahlers Siebte, dirigiert von Daniel Barenboim, zu hören. Es folgte ein Gala-Diner für die 850 geladenen Gäste im Libeskind-Bau. FAZ-Feuilletonist Mark Siemons sieht darin nicht weniger als die „Inbesitznahme der Stadt für die symbolischen Bedürfnisse der Bundespolitik". Dank des von Gräfin Isa von Hardenberg organisierten „Ereignisses" darf Berlin sich endlich „weltläufig" fühlen. Das Label „Berliner Republik", so Siemons, habe nun einen Inhalt bekommen: „Deutschland ist souverän." Zwei ganze „Berliner Seiten" widmete die FAZ dem Abdruck dieser ominösen, angeblich bis zuletzt geheimen Gästeliste. Auf ihr stehen neben Repräsentanten jüdischer Organisationen und Institutionen aus aller Welt, den Diplomaten und der unvermeidlichen Politikerriege auch Unternehmer wie Dr. Hubert Burda, „Künstler" wie Meret Becker und Manfred Krug und der Bürgermeister von Shanghai; der arme Stefan Heym wurde perfiderweise an einen Tisch mit Wolfgang Schäuble gesetzt, durfte sich aber durch den ebenfalls dort plazierten Siegfried Unseld getröstet fühlen. An diesem Sonntag hatte man freilich so viel Geld verpulvert, daß den teilweise hochbetagten Stiftern und Leihgebern am „Tag der Erinnerung" (10. September) nur mehr Kaffee und Softdrinks angeboten werden konnten.

Dem Jüdischen Museum, das eine verwickelte, bis in die siebziger Jahre zurückreichende Vorgeschichte hat, keineswegs aber eine bedeutende Judaica-Sammlung als Grundlage, wird allerhand aufgebürdet: Ein Zeichen der Souveränität soll es sein, Ausdruck einer neuen Normalität im Umgang mit jüdischer Geschichte. Das Gegenteil ist der Fall: In keinem anderen Land wäre die Eröffnung eines jüdischen Museums als Staatsaffaire denkbar. Ausstellungsmacher Ken Gorbey spricht, als sei das selbstverständlich, von einem Nationalmuseum. Man will sich und der Welt etwas beweisen. Nichts ist gut und teuer genug für dieses Museums-Mausoleum. Berlin springt über seinen Schatten und leistet sich zumindest ein neues Gebäude, das als architektonischer Wurf internationale Beachtung findet. Man darf freilich nicht vergessen, daß der Bau noch im alten Westberlin beschlossen wurde und nach 1990 vielleicht gar keine Chance mehr gehabt hätte.

Das von Daniel Libeskind entworfene Gebäude mit dem Grundriß eines Blitzes soll kein Holocaust-Mahnmal sein, auch wenn es in der Mahnmal-Debatte immer wieder als die eigentlich angemessene „Lösung" ins Spiel gebracht wurde und Libeskind selbst einen von seinem Museumsbau abgeleiteten Entwurf als Mahnmal für die ermordeten Juden einreichte. Auch das Ausstellungskonzept für das neue Haus geht dahin, die Jahre von 1933-45 nur als einen Teil der Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland darzustellen. Normalität heißt, sich nicht immer nur auf die 12 Jahre zu versteifen, wenn es um Juden in Deutschland geht. Man kann sich an den großen Kulturleistungen von Mendelssohn bis Libeskind freuen und man kann auch einen „Bagel-Snack zwischen zwei Ausstellungssegmenten" einnehmen.

Auch die „Corporate Identity" des neuen Museums soll nicht zu sehr auf den Holocaust verweisen. Natürlich wollte man auf den einprägsamen und mittlerweile auch gut bekannten Blitz-Grundriß nicht verzichten. Die Designerin Marion Meyer entwarf ein Logo, in dem der Blitz auf einem stilisierten Granatapfel sitzt ­ Symbol der Fruchtbarkeit, in einem warmen Rot gehalten. Der Museumsshop empfiehlt sich mit „Zickzack zum Sammeln und Verschenken", also wahrscheinlich auf Kaffeetassen, Seidentüchern und was sonst noch alles man sich eigentlich gar nicht vorstellen mag. Aber das Jüdische Museum ist ja schließlich kein Holocaust-Museum. Das Holocaust Memorial Museum in Washington D. C. ist das einzige mir bekannte Museum in den USA, das darauf verzichtet, in einem Giftshop derlei Schnickschnack zu verkaufen. Das Berliner Haus möchte im übrigen eine Vorreiterrolle spielen bei der Akquise privater Fördergelder.

In einer vom Deutschlandfunk übertragenen Debatte, kurz vor der Eröffnung des Museums, wurde allen Ernstes die Frage erörtert, ob es antisemitisch sei, Kritik an Architektur und Ausstellung zu üben. Ein Berliner Journalist, dessen schlichtes Gemüt den Buchtitel Jewrassic Park ersonnen hat ­ das Machwerk behandelt die Vorgeschichte des Jüdischen Museums ­ gefiel sich als agent provocateur; eine heillose, traurige Angelegenheit. Dann fehlte nur noch eine Stimme des Bedauerns darüber, daß wahrscheinlich nur sehr wenige Nazi-Skinheads in das Jüdische Museum kommen werden, die dort ja Toleranz lernen könnten.

Mit dem Libeskind-Bau gibt es ein Problem, daß er mit vielen postmodernen Museumsbauten teilt, die sich ­ bei hohem skulpturalen Eigenwert ­ nur wenig um ihre Nutzung als Ausstellungsraum scheren. Zweifellos war das leere Haus eine beeindruckende Skulptur. Man kann an der ästhetizistisch hochgezüchteten Gedenkkultur und am dazugehörigen Design aber schon seine Zweifel haben.

Die Ausstellung habe ich noch nicht gesehen. Die Anschläge in den USA haben die „Publikumseröffnung" bis auf weiteres verzögert. Die bisher erschienenen Kritiken lassen einen einigermaßen ratlos zurück. Während Klaus Harpprecht (einer von den 850) in der Zeit schreibt, die Wirkung des Libeskind-Baus werde von der Ausstellung noch gesteigert, ist der FAZ-Kommentator Heinrich Wefing der genau entgegengesetzten Meinung und spricht von einer „grandios verpaßten Gelegenheit": Die Ausstellung werde den Anforderungen eines „veritablen Nationalmuseums" nicht gerecht, genauso wenig der Symbolbeladenheit der „expressiven Architektur".

Florian Neuner

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