Ausgabe 09 - 2001 berliner stadtzeitung
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Doppelleben

Der Pianist Artur Schnabel wird als Komponist entdeckt

Als Artur Schnabel im August 1951 starb, galt er als einer der größten Pianisten seiner Zeit. Daß der gefeierte Beethoven-Interpret auch ein bedeutendes kompositorisches Oeuvre hinterlassen hatte, war da schon weniger bekannt, denn Schnabel unternahm nicht allzu viel, um seine Musik an die Öffentlichkeit zu bringen. Mit einer Ausstellung und einer Konzertreihe wird in der Akademie der Künste derzeit der ganze Musiker Artur Schnabel präsentiert. Nachdem man den Schönberg-Nachlaß verspielt hat, ist es der Akademie nun immerhin gelungen, das Archiv der Familie Schnabel nach Berlin zu holen ­ in die Stadt, in der der gebürtige Österreicher Schnabel 35 Jahre lang gelebt hatte.

In einem Brief Schönbergs an Artur Schnabel aus dem Jahr 1944 heißt es, ein Treffen in New York in Aussicht: „Dann können wir wieder ein bißchen raufen." Das Streitthema der beiden Musiker im Exil: Schönberg fand es unmöglich, daß der Pianist keine zeitgenössische Musik in seine Programme nahm, „almost a crime" nannte der Komponist diese Verweigerungshaltung. Der Interpret Schnabel wurde dennoch von den fortschrittlichsten Musikern seiner Zeit geschätzt. Von einem „Diener der Musik" schreibt der Kollege Claudio Arrau, sieht Schnabels große Leistung darin, die Virtuosenhaltung des 19. Jahrhunderts überwunden zu haben, die in der Musik nur ein Vehikel zur Selbstdarstellung sah.

Artur Schnabel führte als Musiker eine Art Doppelleben: Anders als heutige Interpreten, die – wie beispielsweise Alfred Brendel – in ihrem Repertoire auch oft über das 19. Jahrhundert kaum hinauskommen und tatsächlich von zeitgenössischer Musik keine Ahnung haben, bewegte sich Schnabel als Komponist durchaus auf der Höhe der Zeit, d.h. er rezipierte und reflektierte intensiv die Errungenschaften der Schönberg-Schule. Nach mehrjähriger Schaffenspause markiert 1914 das Notturno für eine tiefe Frauenstimme und Klavier den Beginn des „fortschrittlichen" Schnabel, die Formulierung seiner eigenen Position. Bereits als 19jähriger war der aufstrebende Pianist in Berlin mit einem romantisierenden Klavierkonzert an die Öffentlichkeit getreten. „An Schönberg gehalten sind meine Arbeiten doch wirklich Salonmusik", meinte Schnabel kokett; auf einem Schnabel-Symposium im Musikinstrumentenmuseum wurde der anti-systematische, anarchische Impuls dieses erst zu entdeckenden Werkes hervorgehoben.

Noch bis zum Monatsende läuft in der Akademie der Künste die Schnabel-Konzertreihe. Die angenehm unspektakuläre, seriöse kleine Ausstellung bietet viel Lesestoff und solide Information. Man kann dort auch den Pianisten Schnabel hören, dessen Spiel der Komponist Martin Kapeller auf dem Symposium als einzigartige Kombination von Texttreue und expressionistischer Glut beschrieb.

Peter Stirner

„Artur Schnabel. Musiker Musician", noch bis zum 14. Oktober in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten

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