Ausgabe 09 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Kreise auf Kreuzfahrt

Filmische Öffentlichkeit außerhalb der ökonomischen Zwänge

Vom 23. bis 26.8. fand in Berlin das 5. weltweite Independent Film- und Videofestival „Circles of Confusion" zum Thema „Odyssee" statt. Passender Schauplatz waren zwei Schiffe im Historischen Hafen auf der ­ mittlerweile quasi nackten, da ahornentblätterten ­ Fischerinsel und die C-Base. Das seit 1995 stattfindende Festival stellt allerdings nur einen Teil der Aktivitäten des dahinter stehenden Netzwerks aus Filmenthusiasten dar.

Das Thema entstand zufällig: Einige holländische Filmfreunde hatten ein altes Schiff, wollten damit nach Berlin und etwas zu den „Circles" beitragen. Vom Schiff zu Homers Odyssee war es dann nur ein kleiner Schritt. Leider konnten die Holländer nicht kommen. Also suchte man, fand die Schiffe Anna und Agnes und mit dem Science-Fiction-Club C-Base ein unterirdisches Raumschiff ­ schließlich schreiben wir 2001. Und die Odyssee, der europäische Urmythos, berührt so manches: Immer wieder Liebe, Krieg und Tod in allen Variationen ­ und ist übertragbar auf viele Prozesse und Situationen.

Das internationale Programm „außerhalb der ökonomischen Zwänge des Filmmarkts" deckte ein breites Spektrum ab: formal-experimentelle Rauheiten und „klassisch" Narratives, ernsthafte Dokumentation und heiterer Unernst, analoge und digitale Phantasmen. Die heterogene Auswahl aus Hunderten von Einsendungen wurde in Themenblöcke mit Bezug zur „Odyssee" gegliedert und mit Installationen, Performances, Konzerten und Parties angereichert.

Allen Filmen gemeinsam ist dabei der Mangel an Öffentlichkeit, mit dem Produktionen jenseits des Mainstreams seit jeher zu kämpfen haben. Gegenöffentlichkeit muß also her. Nun hat sich zwar auch z. B. das BerlinBeta-Festival dem Seltenergesehenen verpflichtet. Dieses deckt aber eher die obersten zehn Prozent der Indie-Produktionen ab, wo der Weg zur kommerziellen Verwertbarkeit nicht mehr so weit ist. Und „Independent" läßt mittlerweile einige Interpretationen zu. Die Circles-Macher begreifen dagegen alles als independent, was über dem Amateur- und unter dem Mainstreambereich angesiedelt ist und geben so auch No-budget-Produktionen eine Chance.

No-budget war auch der Anfang. Das Festival wird 1995 eher zufällig gegründet: Ein paar Filmenthusiasten aus Berlin und den USA wollen sich ein Forum schaffen, um eigene Projekte öffentlich zu machen und sich mit anderen Filmschaffenden auszutauschen. Eine Selbsthilfemaßnahme ­ eine Plattform für Indie-Produktionen existiert in Berlin nicht, der Vernetzungsgrad der Szene ist gering. In nur zwei Monaten wird das Festival mit Privatgeldern realisiert und in den Salons der Volksbühne und im Babylon präsentiert.

Im zweiten Jahr wird zusätzlich ein Forum von und für unabhängige Filmschaffende ins Leben gerufen. Das Independent Film Network IFN entsteht als „Energietauschbörse".

Vom IFN werden seit 1997 monatlich wechselnd offene Screenings und Diskussionsforen organisiert. Auf letzteren stellt sich schnell heraus, daß die meisten ganz konkret finanzielle und materielle Unterstützung für ihre Projekte brauchen. Das nach wie vor unentgeltlich arbeitende IFN kann dies nicht leisten. So beschränkt man sich vor allem auf die Vermittlung von Kontakten aus der internationalen Datenbank.

Eine Vision entsteht: 1997 wird gegenüber der Filmboard Berlin-Brandenburg GmbH ­ dem Hauptförderer in der Region ­ die Idee eines „Independent Filmhaus Berlin" formuliert. Es soll zentraler Anlaufpunkt für alle unabhängigen Filmemacher sein und finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung auf allen Stufen des Produktionsprozesses leisten. Ähnliche Einrichtungen existieren bereits in anderen Städten, etwa in Köln.

Nach dem 4. Festival 1998 brauchen die Organisatoren eine Regenerationspause: Das Festival wird ausgesetzt. Die offenen Screenings finden, durch Zusatzprogramme ergänzt, allerdings weiter statt.

Mittlerweile hat sich zur Freude der Organisatoren die Situation etwas gebessert: Die Szene ist besser organisiert, mehr Leute nehmen mehr wahr. Nicht zuletzt durch das Internet wurde der Austausch unkomplizierter und überregionaler.

Diese Verbesserung führte auch dazu, daß das Filmboard stärker bedrängt wurde, sich zu öffnen und nicht nur maximalprofitable Aktivitäten zu fördern. Letztendlich ist das allerdings wieder ein kulturpolitisches Mißverständnis: Es geht nicht darum, den Mainstream im Indie-Bereich saugen zu lassen, sondern darum, die Gesellschaft lebendig zu halten. Und dafür braucht es einen lebendigen Untergrund.

Die Vernetzung dieses Untergrunds führt zum Austausch mit anderen Festivals: Man lädt ein, ermöglicht Kontakte und gibt Gastspiele (z.B. g-niale Stralsund, Videodom Moskau). Oftmals ergibt sich aus zufälligen Begegnungen eine kontinuierliche Kooperation.

Eine Auswahl der Festivalfilme wird so in den nächsten Monaten auf Tour, unter anderem auf dem Rostocker Kunstschiff MS Stubnitz (z. Z. in Rotterdam), in Moskau und auf dem Festival Milano, zu sehen sein. Darüber hinaus gibt es auch wieder offene Screenings im Eschloraque.

Auch 2002 soll das Festival wieder stattfinden. Das Thema: „Transport".

Claudia Küster / Sascha Brossmann

www.circles-of-confusion.de,
fon 4425237

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  Ausgabe 09 - 2001